Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus

Klaus Jünschke am Rednerpult der Antoniterkirche.
Klaus Jünschke spricht zum Thema „Schafft endlich die Obdachlosigkeit ab!“

In den Nachrichten wurde oft gesagt, der 27.1. sei der Holocaust-Gedenktag. Das ist falsch. Roman Herzog hat 1996 im Deutschen Bundestag in Bonn die erste Rede zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ gehalten. Seither wird dieser Gedenktag jährlich am 27. Januar begangen, dem Tag der Befreiung der Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im Jahr 1945 durch Soldaten der Roten Armee. Der Gedenktag ist für alle Menschen, die von den Nazis in die KZ gebracht wurden.

Schafft endlich die Obdachlosigkeit ab

Der Bundestag hat 2020 nicht nur beschlossen die von der SS als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgten als Opfer des Nationalsozialismus anzuerkennen. Eine Wanderausstellung soll dazu beitragen, an das kaum bekannte Schicksal der zu Zehntausenden Zwangssterilisierten und Ermordeten zu erinnern. Mit ihrer Konzeption wurden die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Gedenkstätte Flossenbürg beauftragt. Auf der Homepage https://www.die-verleugneten.de kann die Entwicklung der Ausstellung verfolgt werden, die in diesem Jahr starten soll. Erwartet wird, dass sie dazu beiträgt, die nach wie vor lebendigen Vorurteile gegen die damals so genannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ zu überwinden. Im Schulunterricht kommen diese Gruppen von Nazi-Opfern bisher kaum vor.In aktuellen Studien wird die Geschichte der Stigmatisierung von Randgruppen bis zu den Ursprüngen des Kapitalismus zurückverfolgt. Zitiert wurde dabei Martin-Luther: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“. Das protestantische Arbeitsethos ist damals entstanden. Martin Luther hat diese Aussage aus dem zweiten Brief von Paulus an die Thessalonicher. Dieser Brief soll ca. 70 nach Christus in Korinth verfasst worden sein.

Die griechische Antike gilt als Wiege der europäischen Zivilisation. Viele der Errungenschaften aus dieser Zeit haben bis heute Bestand. Im Alten Museum in Berlin trägt eine Tafel in der Griechenland-Abteilung die Überschrift „Herrscher Bürger Sklaven. Ein Menschenbild der Extreme“ Danach wurden die idealisierenden Darstellungen hellenistischer Königinnen und Könige derjenigen von Göttern oder Heroen wie Herakles angeglichen. Am Ende der Tafel steht:
„In scharfen Kontrast dazu stehen Darstellungen von Sklaven, Bauern, Fischer, Alten, Körperbehinderten und Fremden. Sie reichen von der idyllischen Verklärung eines vermeintlich unverdorbenen Landlebens über einen schonungslosen Realismus bis zur karikierenden Übertreibung.“

Das „Menschenbild der Extreme“ hat bis heute Bestand. Wir leben in einem Europa in dessen Medien die Beziehungsprobleme der europäischen Adligen und der Promis mehr Platz einnehmen als die Berichte über die Armen und ihre Not.

Der Soziologe Christian Sigrist, der u. a. über die Entstehung von Herrschaft geforscht hat kommt zu dem Schluss „Allgemein lässt sich die Entstehung von Pariagruppen als Ergebnis von Herrschaftsbildung und wachsender ökonomischer Ungleichheit erklären. Die religiöse Überhöhung von Herrschaftsinstanzen findet ihren Gegenpart in der Dämonisierung von Randgruppen.“ Womit wir uns heute hier befassen reicht folglich wie das Patriarchat zurück in die Anfänge menschlicher Gesellschaften.

Norbert Elias hat in seiner Studie „Etablierte und Außenseiter“ geschrieben, was politische Bildungsarbeit dagegen leisten sollte: „Je mehr sich Menschen der emotionalen Gleichsetzung von hoher Macht mit hohem menschlichem Wert bewusst werden, desto größer ist die Chance einer kritischen Einschätzung und aktiven Veränderung.“

Friedrich Engels und Karl Marx haben zwar für die Deklassierten ihrer Zeit den Begriff Lumpenproletariat geprägt, aber in ihrem Buch „Die Heilige Familie“ haben sie für einen herrschaftskritischen Umgang mit Kriminalität plädiert. Man müsse „nicht das Verbrechen am einzelnen strafen, sondern die antisozialen Geburtsstätten des Verbrechens zerstören und jedem den sozialen Raum für seine wesentliche Lebensäußerung geben. Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden.“

Die Umstände menschlich bilden.

Schade dass wir keine Zeit haben um uns über alles auszutauschen, welche Umstände uns hier in der Stadt nicht als menschlich erscheinen. Ich möchte nur auf die Sitzgelegenheiten zu sprechen kommen, die erkennbar der Abwehr von Obdachlosen dienen. In der Stadt gibt es fast keine Bänke mehr, auf denen man auch bequem liegen kann. In der Kalker Hauptstraße vor dem dm hat man es mit Blumen gesagt: dort stehen jetzt riesige Pflanzenkübel und die Obdachlosen können unter dem Vordach nicht mehr lagern.
Im Rat wurde viele Beschlüsse für Flüchtlinge gefasst, die wir begrüßen. So hat der Rat der Stadt Köln beschlossen die Sammelunterkünfte für Flüchtlinge abzuschaffen? Warum wurde nicht gleichzeitig beschlossen auch die Sammelunterkünfte für Ovbdachlose mit ihren Mehrbettzimmern und den ausgehängten Türen abzuschaffen?

Die Lebenserwartung von Obdachlosen liegt 30 Jahre unter dem Durchschnittsalter in der Bundesrepublik von 79 Jahren. Das kommt nicht nur daher, weil das Leben auf der Straße krank macht. es ist auch Resultat der Gewalt die Obdachlose von Menschen mit Wohnung erfahren und durch die Gewalt die es untereinander gibt. Die Wohnungsnot lastet auf den Obdachlosen am meisten und dieser Druck kann nicht bewältigt werden.
Obdachlose sind die am stärksten überrepräsentierte soziale Gruppe im Strafvollzug. Dass die Gefängnisse von Anfang an Armenhäuser waren und es bis heute sind, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Für die Wohnungslosen und Obdachlosen in Haft hat man sich bisher nicht interessiert obwohl 14% aller Strafgefangenen ohne festen Wohnsitz sind, in den Wohnungslosenstatistiken kamen sie nicht vor. Sie seien ja untergebracht.

Die Stadt Köln hat die Bremer Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung beauftragt die Lebenslagen von Wohnungslosen und Obdachlosen zu untersuchen. Ihre Studie soll die Tage veröffentlicht werden-. Danach gibt es in Köln über 12.000 Wohnungslose von denen rund 500 auf der Straße leben. Bei 12 % von allen wurde ein Bezug zum Strafvollzug festgestellt, d.h. bei über 1400 wohnungslosen Menschen hier in der Stadt. Entweder haben sie ihre Wohnung durch die Verbüßung einer Haftstrafte verloren oder sie sind aufgrund ihrer Obdachlosigkeit straffällig geworden und dadurch ins Gefängnis gekommen.

Ich habe mit 20 Obdachlosen in den Gefängnissen hier in Ossendorf und in Siegburg und Rheinbach sprechen können. Während laut der Wohnungslosenstatistik der Bundesregierung, die erstmals am 8.12.2022 veröffentlicht wurde, nur 1/3 aller Wohnungslosen suchtkrank sind, hatten die 20, die mit denen ich sprach alle Suchtprobleme. Entweder waren sie Alkoholiker oder Konsumenten illegaler Drogen oder beides.

Die Wohnheime für Haftentlassene in Köln, das Haus Rupprecht Straße für Männer und das Elisabeth Fry Haus für Frauen – es gibt noch kleinere von der Heilsarmee und der Diakonie – nehmen Haftentlassene nicht auf, die psychisch krank und suchtkrank sind.

Die vier Langzeitobdachlosen, die ich kennenlernte, waren in den letzten 20 bis 30 Jahren die Hälft der Zeit in Haft. Der Älteste hatte über 50 Vorstrafen, lauter Pille-Palle-Delikte, kleine Diebstähle und Fahren ohne Ticket. Er hat noch nie eine eigene Wohnung gehabt. Wenn man will, dass diese Kreisläufe rein und raus und rein und raus aufhören, muss man ihnen Wohnungen geben. In den Wohnhäusern und den Büroimmobilien gibt es genügend Leerstand. Seit über einem Jahr stehen wir Woche für Wochen vor leerstehenden Häusern und skandalisieren das. Heute früh waren wir vor den Häusern der GAG in der Elias-Gut-Straße in Stammheim, wo über 40 Wohnungen leer stehen. Davor waren wir oft in der Friedrich-Engels-Straßen, wo über 890 Wohnungen leer stehen. Alle 500 Obdachlosen könnten sofort in abschließbare Einzelzimmer. Der politische Wille dazu ist nicht vorhanden.

In Köln gibt es Hunderte Menschen, die beruflich und ehrenamtlich den Obdachlosen auf der Straße helfen, Essen und Getränke werden verteilt, warme Kleidung und Schlafsäcke, ärztliche Hilfe wird angeboten und vieles mehr – Stefan Karrenbauer von der Hamburger Straßenzeitung Hinz&Kunzt: „Das alles ist notwendig, weil wir die Wurzeln nicht angepackt bekommen, nämlich ihnen ein Zuhause zu geben.“

Kai Hauprich vom Vringstreff hat im Interview mit dem DRAUSSENSEITER erklärt „wir haben uns daran gewöhnt den Obdachlosen beim Sterben zuzusehen,.

Klaus Jünschke, Köln am 27. Januar 2024