Pandemie verschärft soziale Not. Besonders betroffen: Prekär Beschäftigte, Geflüchtete, Wohnungslose und Prostituierte

Pressemitteilung

Kölner Runder Tisch für Integration mahnt Arbeitgeber und öffentliche Hand

„Ausgebeutet und ausgegrenzt. Prekär Beschäftigte, Wohnungslose, Flüchtlinge und Prostituierte in der Pandemie Krise“ dieses Thema stand im Mittelpunkt des Plenums des Kölner Runden Tisches für Integration, das digital am 13. April 2021 stattfand. Mit kurzen Statements zur den Erfahrungen im Pandemie-Jahr eröffneten Jörg Mährle, Geschäftsführer der DGB Region Köln- Bonn und Anne Rossenbach, Sozialdienst katholischer Frauen Köln, den Abend

„Auch wenn Beispiele wie Tönnies und Amazon groß durch die Medien gehen, die angeprangerten Zustände sind keineswegs neu. Die Verhältnisse, wie Menschen im Niedriglohnsektor wohnen und arbeiten, wurden lange nicht zur Kenntnis genommen. Neben der Baubranche findet man ähnlich schlechte Arbeitsbedingungen auch im Bereich Dehoga, im Einzelhandel und in der Logistikbranche. Die Pandemie hat ihre Lage enorm verschlechtert.“ beklagt Jörg Mährle, Geschäftsführer der DGB- Region Köln- Bonn. Besonders betroffen seien Menschen im Niedriglohnsektor mit einem Stundenlohn von weit unter 11 Euro.

Der größte Dienstleistungskunde sei die Öffentliche Hand. Blickt man auf die Schulen, so waren früher Hausmeister und Reinigungskräfte bei der Kommune angestellt. Heute sind diese Arbeiten outgesourct und werden privatwirtschaftlich geleistet – unter höherem Druck und bei geringerer Entlohnung.

Dass in diesem Bereich viele Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sind, bestätigte Jörg Mährle. Manche bekommen nur 4 oder 5 Euro Stundenlohn. Darunter z.B. viele Osteuropäer, die auf dem Bau oder beim Spargelbauern arbeiten. Sie haben keinerlei Perspektive.

Kontrollen finden viel zu wenig statt. Dass es sich lohnt, konnte man letzte Woche sehen, als aufgedeckt wurde, wie Amazon mit Arbeitskräften umgeht. Als Selbständige werden sie mit 25 Euro Stundenlohn geködert. Verschwiegen wird jedoch: Wartezeiten werden nicht entlohnt, Auto, Wartung, Sprittgeld müssen sie selbst tragen, und so bleibt nach Abzug aller Kosten weniger als der Mindestlohn übrig.

Und doch gibt es genügend Menschen, die solche Jobs Hartz IV vorziehen. Weil das System sie entwürdigt und zum Bittsteller abstempelt. Welches Ausmaß an sozialem Sprengstoff sich darin verbirgt, findet zu wenig Beachtung.

Der seit fast einem halben andauernde Lockdown hat viele Jobs vor allem in der Gastronomie und im Einzelhandel vernichtet. Kurzarbeitergeld helfe dabei den wenigsten, ohne Existenzsorgen zu leben. In der Gastronomie verdienen die Beschäftigten das meiste über Trinkgeld und das wird in die Berechnung nicht einbezogen. Auch die meist Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel könnten vom Kurzarbeitergeld nicht leben.

In der Diskussion wurde auf die Situation von Frauen im Niedriglohnsektor aufmerksam gemacht. Vor allem diejenigen ordnen sich würdelosen Verhältnissen unter, deren aufenthaltsrechtliche Status daran hängt. Die Lebensunterhaltssicherung ist Voraussetzung dafür, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Wer Hartz IV bezieht ist chancenlos.

Kein Hartz IV und auch keine anderen Sozialleistungen bekommen Menschen aus den Südosteuropäischen EU-Ländern. Dies habe der Bundesgesetzgeber ausgeschlossen. Von daher bleibt ihnen nichts anderes übrig als sich auf den sog. Arbeiterstrich anzubieten und jede Arbeit annehmen zu müssen. Auch dies wurde durch die Pandemie deutlich erschwert. Auch Menschen, die auf Arbeit im grauen oder schwarzen Arbeitsmarkt angewiesen sind, finden durch den Lockdown im Dienstleitungsbereich kaum noch Arbeit.

Angesichts dieser Auflistung stellt sich die Frage: Was ist zu tun, um die Situation zu verbessern?

Jörg Mährle verwies darauf, dass zahlreiche Konzepte vorliegen, um z.B. die Grundsicherung und die Rentenfrage anzupassen und mehr Steuergerechtigkeit herzustellen. Zur Umsetzung fehlt das Votum der politischen Entscheidungsträger*innen. Mit Blick auf die kommunale Ebene appellierte er, die Stadt solle durch ihre Ausschreibungs- und Vergabepraxis Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort nehmen.

Auch darüber hinaus ist die Kommune gefordert.

„Massiv hat die Pandemie die Lebensbedingungen vieler Menschen, die auf soziale Hilfe angewiesen seien, verschlechtert. Dies wird in der öffentlichen Diskussion und auch in der Politik viel zu wenig beachtet“ kritisierte Anne Rossenbach vom SkF.

Als plötzlich die Geschäfte geschlossen und die Straßen leer wurden, gab es für Wohnungslose keine Möglichkeit mehr, zu betteln. Einige soziale Einrichtungen stellten aus Hygienegründen den Betrieb ein, Behörden waren nur noch eingeschränkt erreichbar und sind das bis heute. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung haben die Träger daraufhin gemeinsam mit der Stadtverwaltung die Verteilung von Lebensmittelpaketen organisiert und die Möglichkeit der rudimentären Hygiene mit einem Duschbus sichergestellt. Der SkF sicherte wie andere Träger der Wohnungslosenhilfe die Betreuung von Obdachlosen, indem mit einer Ausweitung der Öffnungszeiten darauf reagiert wurde, dass sich unter Einhaltung der Abstandsregeln nicht mehr so viele Menschen gleichzeitig in den Räumen aufhalten konnten. Im Rahmen der Winterhilfe wurden dann weitere Plätze für obdachlose Frauen und Männer mit der Stadt geschaffen. „Doch die Pandemie hat uns die Not vieler Menschen, die sonst im Strom der Passant*innen untertauchen konnten, noch einmal sehr deutlich gemacht.“

Kolleg*innen der ambulanten Familienhilfe stellten fest, dass wegen der geschlossenen Schulen in einigen Haushalten die Kinder unterversorgt waren. Es fehlte schlicht an Essen.

Prostituierten wurde ihre Tätigkeit verboten. Diese haben aber meist nur das Geld, das sie durch ihre Sexarbeit einnehmen. Von jetzt auf gleich mussten die Frauen vollversorgt werden. 244 Frauen wurden so seit dem Ausbruch der Pandemie mit dem Nötigsten versorgt und in weitere Hilfe begleitet. Es gelang, einige in Minijobs zu vermitteln. Für andere, die völlig mittellos waren, wurden Sozialleistungen erkämpft, obwohl sie nicht anspruchsberechtigt waren.

Der Umgang mit Ämtern und Institutionen fand nicht mehr persönlich, sondern nur noch online statt. Doch die Gruppe der Bedürftigen verfügt meist nicht über eine entsprechende technische Geräte. Es ist vielleicht ein Handy vorhanden, aber kein PC und kein Drucker.

Das wirkte sich auch dramatisch für die Kinder im Homeschooling aus. Für die Ausstattung der Familien verwiesen die Jobcenter auf den Digitalpakt Schule und die Schulen schickten die Eltern zum Jobcenter. Die betroffenen Eltern fühlten sich hilflos und ausgeliefert.

Zum Glück funktioniere in Köln die humanitäre Unterstützung verhältnismäßig gut, schloss Anne Rossenbach. „Doch anhand der Pandemie ist überdeutlich geworden, welche Gruppen keine oder nur wenig gesellschaftliche Relevanz haben.“

„Wir wollten in der Krise unserer Gesellschaft die elenden Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen, die es schon vor der Pandemie schwer hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ein würdiges Leben führen zu können, sichtbar machen. . Gerade sie brauchen mehr Unterstützung und vor allem Arbeit, von der sie leben können“ fordert Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Sprecher des Kölner Runden Tisches für Integration.