Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche

Dringender Handlungsbedarf für die Stadt

Die Bundesregierung hat für die Förderung von Kindern und Jugendlichen ein Aufholprogramm in Höhe von 2 Mrd. Euro bereitgestellt, das von den Bundesländern umgesetzt wird. Entsprechende Richtlinien werden derzeit auch in der Landesregierung NRW vorbereitet. Die Stadt Köln darf jedoch nicht abwarten und muss schnell die Förderung konkreter Maßnahmen, für die von den Folgen der Pandemie betroffenen Kinder und Jugendlichen beginnen. Besonders betroffen sind Kinder aus Familien mit internationaler Geschichte. Die Aufarbeitung und Heilung von Schäden der Pandemie in Schule und im familiären Umfeld muss Vorrang haben vor dem Aufholen von Lernlücken.

In der Presseveranstaltung am 23.06.2021 in der Gemeinschaftsgrundschule An St. Theresia in Köln Buchheim ging es um folgende Anmerkungen und Forderungen zum Aufholprogramm.

Die Aufarbeitung und Heilung von Schäden der Pandemie in Schule und im familiären Umfeld muss Vorrang haben vor dem Aufholen von Lernlücken – Die Stadt muss einen ganzheitlichen Ansatz in den Schulen fördern und die vom Bund angebotene Finanzierung umfassend und flexibel nutzen

Mit dem von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Aufholprogramm sollen im Nachgang zur Pandemie und den erfolgten Schulöffnungen Lernrückstände abgebaut, frühkindliche Bildung gefördert, Ferienfreizeiten und Außerschulische Angebote unterstützt und Kinder und Jugendliche im Alltag begleitet werden.

Das Programm wird durch die Bundesländer durchgeführt, die dazu auch die entsprechenden Ausführungsbestimmungen erlassen.

Gregor Stiels, Rektor der Gemeinschaftsgrundschule an St. Theresia, schilderte konkrete anhand konkreter Vorkommnisse, wo es an Unterstützung der Eltern fehlt.

Bislang ist die schulnahe Elternarbeit dort nicht erwähnt, aber mehrere Förderschwerpunkte werden nur mit der Einbeziehung der Eltern realisierbar sein. Das gilt für den Abbau von Lernrückständen, der besonders Kindern und Jugendlichen mit internationaler Geschichte zugutekommen soll und bei dem bereits in der Ausschreibung eine Kooperation mit Vereinen und Migrant*innenselbstorganisationen erwünscht ist. Eine Einbeziehung der Eltern einerseits und der Migrant*innenselbstorganisationen andererseits bei der Konzeption und Durchführung der Angebote gilt ebenso für die außerschulischen Angebote etwa die Familienfreizeiten, für das bürgerschaftliche Engagement sowie für die Förderung von Mehrgenerationenhäusern bzw. Zentren. Um der Vielfalt und der Praxis der örtlichen Träger gerecht zu werden, bedarf es daher einer flexiblen und über die lokalen Strukturen umsetzbaren Förderung.

Der Kölner Runde Tisch für Integration fordert daher von der Stadt Köln sich bereits jetzt mit den Fördermöglichkeiten des Aufholpaketes zu befassen und in Kooperation dem zuständigen Dezernat für Bildung, Jugend und Sport sowie dem Amt für Integration und Vielfalt die entsprechende Förderung für ein abgestimmtes Konzept zu beantragen, das nicht nur dem Aufholen von Lernrückständen dient, sondern unter Einbeziehung der Eltern und der jeweils lokalen Akteure dem Aufholen von verpasster Lebenszeit und Entwicklungsfortschritten im schulischen und außerschulischen Kontext.

Gönül Topuz, Fachbereichsleiterin Elternbildung des DTVK berichtete eindrück aus der Praxis ihrer Beratungsarbeit während der Pandemie.

Dafür sind folgende Fakten handlungsleitend.

Der Lebenslagenbericht der Stadt Köln, dessen sozialwissenschaftliche Daten vor der Pandemie erhoben wurden, macht deutlich, dass in Köln soziale Segregation herrscht. In Stadteilen, in denen die Wohnfläche pro Person, das Einkommen oder die Gesundheitsversorgung geringer, der Bezug von Grundsicherung aber höher ist, als im städtischen Durchschnitt bzw. in Stadteilen mit gut Verdienenden leben besonders viele Menschen mit internationaler Geschichte. Entgegen landläufiger Meinung haben Kinder und Jugendliche, die in internationalen Familien aufwachsen, nicht geringere Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten als alle anderen Kinder – im Gegenteil: Mehrsprachigkeit ist ein Vorteil. Aber diese Kinder werden durch die soziale Lage und die Ferne vieler Eltern zu unserem Bildungssystem sowie durch die unzureichende Ausstattung und Ausrichtung der Schulen am Lernerfolg gehindert.

Die Aufarbeitung und Heilung der durch die Pandemie bewirkten Schäden in den sozialen Beziehungen, in der individuellen Verfasstheit jedes einzelnen Kindes und den Familienstrukturen muss Vorrang haben.

Damit das gelingt und auch schon vor Corona bestehende Bildungsungerechtigkeiten nicht verschärft werden, muss einerseits prioritär die Ausstattung mit Lernmitteln bestehende Ungleichgewichte ausgleichen und andererseits muss Schule als soziale Gestalt stärker als bisher als Ort der Begegnung zwischen den Schüler*innen, dem Lehrpersonal und den Eltern gedacht werden.

Für die notwendige Rückbesinnung auf einen solchen ganzheitlichen Ansatz, der zum Ziel hat, Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien zu „empowern“, benötigt Schule Raum, Zeit und entsprechendes Personal. Das geht über die Stellen für Lehrpersonal hinaus in die gesamte Bandbreite sozialer Berufe und kann keine einmalige „Feuerwehrmaßnahme“ sein.

Bildungsexperte Ludger Reibert mahnte Reformen des Systems Schule an, die sich an einem ganzheitlichen Menschenbild orientieren.

Ein schnelles und zugleich langfristig wirksames Vorgehen ist möglich. Es erfordert die verlässliche Kooperation von Schulen mit den sozialen Diensten und den im Feld der Familienbildung, der Lernunterstützung und der Begleitung von Kindern und Jugendlichen tätigen Einrichtungen, insbesondere mit den interkulturellen Zentren und Vereinen und den sozialräumlich verorteten Trägern der Kinder- Jugend- und Familienhilfe. Hier hinein müssen koordiniert alle Unterstützungsgelder fließen, um darüber dauerhafte Vernetzungsstrukturen zu schaffen. Das Vorgehen ist kontinuierlich in den Schulleitungsrunden, mit der Bezirksjugendpflege und anderen verantwortlichen Akteur*innen abzustimmen.

Dieses Vorgehen muss an den Schulstandorten prioritär starten, die von der Pandemie besonders betroffen sind.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Elternarbeit in enger Kooperation mit den Grundschulen.

In der für alle herausfordernde Zeit der Einschränkungen durch die Infektionsschutzmaßnahmen waren besonders neu zugewanderte Eltern bzw. Eltern mit einer Distanz zum Bildungssystem besonders betroffen. Sie waren oft nicht in der Lage, die Informationen der Schule auf den Internetseiten zu lesen und zu verstehen. Interkulturelle Zentren und Migrant*innenselbstorganisationen sind dabei häufig Vermittelnde zwischen Schule und Elternhaus und helfen so strukturelle Benachteiligungen abzubauen. Dabei spielen folgende Qualitätsmerkmale eine wichtige Rolle:

  • Mehrsprachigkeit: die Kommunikation in der Herkunfts-, d.h. in der Denk- und Fühlsprache ermöglicht Eltern, sich besser auszudrücken und somit sind sie sicher in der Formulierung ihrer Fragen und Problemstellungen. Sie verstehen die Antworten und unmissverständlich und nehmen dadurch die Beratungsangebote an.
  • Migrationshintergrund/kultureller Hintergrund: Eltern mit internationaler Geschichte akzeptieren und vertrauen den Mitarbeiter*innen der Interkulturellen Zentren und Migrant*innenorganisationen, da diese meist auch einen Migrationshintergrund haben. Sie gehen davon aus, dass die Mitarbeiter*innen Empathie mitbringen und ähnliche Erfahrungen haben.

Beratung auf Augenhöhe: die Arbeit mit den Eltern in den Zentren und Migrant*innenorganisationen ist eine Beratung auf Augenhöhe. Es sind Empfehlungen von diesen Mitarbeitenden, die Eltern unterstützen, das bestmögliche für ihre Kinder zu entscheiden und sie bei ihrer schulischen Laufbahn unterstützen. Die Mitarbeitenden verhalten sich nicht „besserwisserisch“ oder intellektuell. Dadurch nehmen Eltern die Empfehlungen gerne an.

Gruppenfoto auf dem Schulhof.