Das Asylpaket II: Menschenrechte in Gefahr

Die Bundesregierung setzt mit dem am 3. Februar 2016 beschlossenen Asylpaket II auf eine Politik von Härte und Unverhältnismäßigkeit gegenüber Menschen auf der Flucht, kritisieren Amnesty International, Deutscher Anwaltverein (DAV) und PRO ASYL.

„Die neuen beschleunigten Verfahren gefährden massiv die Menschenrechte von Flüchtlingen“, sagt Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. „Anstatt zu gewährleisten, dass Asylanträge einfach schneller bearbeitet werden, was gerade für die Betroffenen wichtig ist, werden die Verfahren verschlechtert. Der Zeitdruck auf die Sachbearbeiter wird erhöht, und die individuellen Gründe für Flucht und Asyl können kaum noch geprüft werden.“

Bei den Schnellverfahren gelten extrem kurze Fristen. Insbesondere Flüchtlinge ohne Papiere werden diesen Verfahren unterworfen, weil ihnen eine mangelnde Mitwirkungsbereitschaft im Asylverfahren unterstellt wird. Damit wird das Schnellverfahren zum Standardverfahren. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt warnt: „Es darf keine rechtsschutzfreien Räume geben, Schnell-Ablehnungen dürfen nicht zum Standard werden.“

In den besonderen Aufnahmezentren ist keine kostenlose Rechtsberatung vorgesehen. Faire Asylverfahren und die Korrektur von Fehlentscheidungen durch die Arbeit von Rechtsanwälten sowie Gerichten werden kaum noch möglich sein. „Um der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes zu entsprechen, ist es erforderlich, dass jeder Flüchtling in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit hat, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen“, sagt Rechtsanwältin Gisela Seidler, Vorsitzende des Ausschusses Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwaltvereins. „Deshalb ist es erforderlich, neue Modelle der Finanzierung der anwaltlichen Beratung zu finden.“ Wegen des jüngst eingeführten Sachleistungsprinzips verfügen viele Asylsuchende gar nicht über die finanziellen Mittel, um einen Rechtsanwalt zu beauftragen.

Selbst Menschen, die krank oder durch Erlebnisse in ihrem Herkunftsland schwer traumatisiert sind, können mit dem neuen Gesetz leichter abgeschoben werden. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass von Gesetzes wegen eine Vermutung besteht, „dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen“. Reichen Kranke ein ärztliches Attest nicht unverzüglich ein, bleibt dieses unberücksichtigt. Atteste von Psychotherapeuten sollen nicht ausreichen, obwohl hier eine besondere Expertise in der Traumabehandlung und -diagnose besteht. „Die Regierung gefährdet so das Leben und die Gesundheit der Betroffenen“, kritisiert Burkhardt.

Laut Gesetzentwurf soll der Familiennachzug für subsidiär Geschützte, zum Beispiel Menschen aus Kriegsgebieten, für zwei Jahre ausgesetzt werden. In der Praxis würde dies mit dem Asylverfahren und der Bearbeitungszeit für den Antrag auf Zusammenführung eine mehrjährige Trennung von Familien bedeuten. Die drohende Aussetzung des Familiennachzugs wird den derzeitigen Trend verstärken, dass Kleinkinder, Kinder und Frauen sich auf die lebensgefährliche Fluchtroute und in die Hände von Schleusern begeben. „Mit dieser Politik unterläuft die Bundesregierung ihren selbstgestellten Anspruch auf eine zügige Integration in Deutschland“, sagt Çalışkan. „Die Zusammenführung mit ihrer Familie und das Wissen um ihre Sicherheit sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Geflüchtete Perspektiven für das Leben in einem neuen Land entwickeln und Traumata von Krieg und Flucht verarbeiten können.“

Der Vorschlag, Tunesien, Algerien und Marokko zu „sicheren“ Herkunftsstaaten zu erklären, stößt auf massive Kritik. Çalışkan: „Das Konzept der ’sicheren Herkunftsländer‘ ist nicht mit dem Recht auf ein individuelles Asylverfahren vereinbar. In Bezug auf die Maghreb-Staaten scheint die dortige Menschenrechtssituation bei den Überlegungen überhaupt keine Rolle gespielt zu haben.“ In Marokko und Tunesien dokumentiert Amnesty seit Jahren Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte. In beiden Ländern wurden Homosexuelle wegen ihrer sexuellen Orientierung vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt. In Tunesien, aber auch in Algerien, wird das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt.

Die Organisationen werfen der Bundesregierung vor, Menschenrechtsverletzungen in diesen Staaten zu ignorieren und stattdessen Persil-Scheine auszustellen, die dazu führen, dass in den Eilverfahren die Fluchtgründe praktisch nicht mehr geprüft werden.

Quelle: Pressemeldung von Amnesty International – Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.

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