Ein Kommentar zu den massiven Übergriffen auf Frauen in der Neujahrsnacht in Köln und anderswo

Die Würde des Menschen in schwierigen Zeiten

Das Versagen des Rechtsstaates in der Neujahrsnacht in Köln und anderen Städten hat zu vielfältigen Reaktionen und einer kontroversen Debatte geführt, die ein erhellendes und auch erschreckendes Schlaglicht auf den Zustand unseres Gemeinwesens wirft. Für Rechtspopulisten und Rassisten sind die kriminellen Übergriffe auf Frauen nichts anderes als die Bestätigung sämtlicher Vorurteile und Feindbilder gegenüber Migranten und auch die rechtspopulistische und unterschwellig rassistische AfD profitiert davon in den Umfragen der Meinungsforschung.

Der überwiegende Teil der Medien und der Politik richtet den Focus nicht in erster Linie auf die von sexualisierter Gewalt verstörten und traumatisierten Opfer, sondern vornehmlich auf die vermuteten Täter. Es waren – dies muss man den Opfern glauben -, vor allem junge Migranten überwiegend aus den Ländern des Maghreb, aber nicht nur, sondern es befanden sich auch Männer anderer Herkunft darunter. Fest steht bisher auch, dass es fast überwiegend keine (!) Flüchtlinge waren.

Dennoch haben Koalitionspolitiker allen voran die CSU sofort mit Forderungen nach Verschärfung des Aufenthaltsrechtes und mit Abschiebung reagiert unabhängig davon, ob dies überhaupt rechtlich und faktisch möglich ist.

Eine differenzierte Analyse der Ursachen massenhafter sexueller Übergriffe und Vorschläge eines zielführenden wie auch angemessenen Handelns in erster Linie im Interesse der Opfer, aber ebenso auch der Migrantinnen und Geflüchteten, die nun Angst haben, pauschal verdächtigt und diskriminiert zu werden, steht noch am Anfang.

Die Gefahr besteht, dass Vereinfachungen und Schuldzuweisungen am Ende kein Problem lösen, dass aber die Angst vor den Fremden wächst und viele verunsicherte, bisher gutwillige und für die Flüchtlinge Empathie empfindende Menschen sich nun zurückziehen oder gar in den Chor der Hardliner einstimmen.

Die Würde des Menschen gerade in diesen schwierigen Zeiten zu wahren, ist eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen, die für eine humane Flüchtlings –und Einwanderungsgesellschaft und für die Wahrung einer menschenrechtlich orientierten Politik eintreten.

In erster Linie geht es um die Würde der Frauen. Wer hilft den Opfern? Wer begleitet sie bei ihren Aussagen vor den Ermittlungsbehörden? Und wie sollen die Täter identifiziert werden? Fragen über Fragen.

Das Sexualstrafrecht ist bei weitem nicht so eindeutig formuliert, dass jeder Übergriff überhaupt als Sexualdelikt verfolgt wird. Überfällig ist also eine Reform des Sexualstrafrechts mit der Maßgabe, dass ein Nein der Frauen auch ein Nein bleibt und wenn es nicht akzeptiert wird, dies eine Straftat ist. Ob es nun zu einer Beschleunigung der Reform kommt, bleibt abzuwarten. Sie aber darf nicht auf die lange Bank geschoben oder verwässert werden. Darum muss auf die Übergriffe in der Neujahrsnacht die längst überfällige Debatte über den alltäglichen Sexismus geführt werden. Dies ist keine Relativierung der konkreten Übergriffe oder gar eine Entschuldigung für die Täter, sondern ein Aufruf für die Würde der Frau einzutreten.

Patriarchalische Frauenbilder und die Reduzierung der Frau auf ein Objekt männlicher Dominanz sind, egal wo wir ihnen begegnen, als solches zu benennen. Vergessen wir nicht, dass sie in fast allen Religionen zu finden sind, und auch, dass bis Mitte der siebziger Jahre den Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch noch die Rolle der Hausfrau in der Ehe zugewiesen wurde und die Vergewaltigung in derEhe erst seit einigen Jahren strafbar ist. Aber gerade darum darf der erreichte Fortschritt eben nicht nur für die aufgeklärten einheimischen, sondern muss für alle Frauen gelten.

Die Debatte muss sehr konkret geführt werden und Folgen haben. Sonst bleibt sie oberflächlich undscheinheilig. Die öffentliche Empörung richtet sich derzeit auf Täter mit Migrationshintergrund, aberwer schützt die Migrantinnen vor Ausbeutung und Demütigung nicht nur in den Familien, sondern auch in der Mehrheitsgesellschaft und in der Arbeitswelt.

Wie hart gehen denn die Behörden gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vor in Köln und anderswo? Wie hart werden Bordellbesitzer und ihre Hintermänner verfolgt und warum nehmen Boulevardblätter auch in Köln immer noch Anzeigen auf, in denen die Ware Frau vermarktet wird. Wo bleibt eigentlich die Reaktion der Verantwortlichen der fünften Jahreszeit in der Hauptstadt des Frohsinns?: Denn während die ganze Stadt sich empört, feiert sie Karneval auch weiterhin wie gewohnt und das heißt auch mit deutlich sexistischer Schlagseite.

Dringend überprüft und verändert werden muss das Sicherheitskonzept und dazu gehört auch die Transparenz über mögliche Gefahren. Denn wo es für Frauen und nicht nur für sie in den Städten gefährlich ist, ist doch bekannt. Aber Aufklärung alleine genügt nicht: No-go-Areas darf es in unserem Land nicht geben und zur Verhinderung bedarf es nicht nur Prävention und Ursachenbekämpfung, sondern auch dem Schutz vor Ort. Statt enger Ordnungspartnerschaft Sicherheitspartnerschaften zwischen Stadt, Polizei und Sicherheitsdiensten, wurde immer mehr Personal abgebaut. Was nützen die stattdessen fast flächendeckend installierten Videokameras? In der konkreten Situation nichts! Angesichts des Versagens der Polizeibehörden in Köln und anderswo fordern nun Viele einen starken Staat. Sicherheit, ob durch Prävention oder durch Repression, kann es aber nicht zum Nulltarif geben und auch nicht mit einer Schwarzen Null im Haushalt als Ziel.

Die schwierigste Diskussion dreht sich wohl um die Bewertung der Täter. Am leichtesten machen es sich die Vereinfacher auf beiden Seiten: Rechtspopulisten und so genannte besorgte Bürger bis weit in die Mitte der Gesellschaft zeigen auf das Aussehen, die Herkunft und die Religion der Täter und rationalisieren damit auch tief verwurzelte rassistisch geprägte Weltbilder. Die Karikatur in der Süddeutschen Zeitung, die eine schwarze Männerhand, die eine weiße Frau sexuell belästigt, zeigt, welche Urängste vor dem schwarzen Mann selbst in einer liberalen Zeitung zum Vorschein kommen.

Differenzierende Erklärungen der Wissenschaft zu autoritären Strukturen, sozialen Verwerfungen und überkommenen Rollenbildern scheinen zu erklären, warum junge Männer zu sexualisierter Gewalt neigen. Aber sie können dennoch nicht die konkreten Taten daraus ableiten. Es ist unmöglich und eine falsche Verallgemeinerung, wenn aus kulturellen Traditionen auf eine bestimmte Gewaltbereitschaft geschlossen wird. Aber ebenso wenig zielführend wäre es, auf jede sozialkulturelle Einordnung zu verzichten und die Kritik an einem religiös bestimmten und anerzogenen patriarchalischen Frauenbild als Rassismus zu verurteilen.

Einfache Erklärungen gibt es nicht und darum bedarf es einer offenen und von Sachkunde bestimmten Debatte, die natürlich auch Konsequenzen haben muss. Dazu gehört, mit einer klaren Haltung und mit Nachdruck vertretenen Regeln des Zusammenlebens solchen Menschen ob mit oder ohne Migrationshintergrund entgegenzutreten, die diese Regeln nicht akzeptieren. Weder sexualisierte Gewalt noch andere Formen der Kriminalität sind zu entschuldigen, sondern sie müssen nach Recht und Gesetz bestraft werden.

Es ist aber eine völlige Illusion zu glauben, es reiche zur Integration aus, wenn eine Leitkultur verordnet, das Grundgesetz als Pflichtkanon gepredigt und mit erhobenem Zeigefinger die moderne deutsche Geschlechterrolle eingefordert wird. Integration muss gelebt werden und gerade hier ist in den letzten Jahren trotz vieler Erfolge viel zu wenig geschehen. Viel zu gering sind die Aufwendungenfür eine präventive und konsequente Sozialarbeit. Es fehlen die Sozialarbeiter/innen an den Schulen und Streetworker auf den Straßen. Seit mindestens drei Jahren weiß das NRW Innenministerium beispielsweise um die Gefährdung junger Männer etwa aus Marokko, die in die Kriminalität abzugleiten drohen. Wie ist reagiert worden – abgesehen von einem sinnvollen Präventionsprojekt der AWO Köln in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium? Viel mehr solcher Projekte und nicht nur Projekte, sondern nachhaltige Integrationsmaßnahmen hätten stattfinden müssen.

Dies gilt erst recht für die soziale Integration. Noch immer sind es vor allem Migrantinnen und Migranten, die von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit betroffen sind. Noch immer werden sie bei der Bewerbung um gute Arbeit und qualifizierte Ausbildung diskriminiert. Noch immer sind die Bildungssysteme und die Curricula nicht auf unterschiedliche Herkunftssprachen ausgerichtet. Seit diesem Jahr verweigert Nordrhein Westfalen aus finanziellen Gründen den Zugang über 18-jähriger Migranten und Geflüchteten zu den Berufskollegs, um dort einen Hauptschulabschluss zu machen. Ein Skandal, den die Landesregierung aussitzen will.

Anerkennung eigener Sprache und Kultur aber ebenso Anerkennung und Wertschätzung ihres Lebens in Deutschland wird den Migrantinnen und Migranten viel zu wenig ausgesprochen und bleibt oft auf bloße Bekenntnisse beschränkt. Integration ist eine Herausforderung voller Mühe und muss oft große Unterschiede überwinden auf beiden Seiten. Aber sie kann gelingen.

Integration kann aber nur gelingen, wenn die sich vertiefende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich überwunden wird, die in vielen Städten immer sichtbarer wird und die vor allem Menschen mit Migrationshintergrund ausgrenzt. Diese Spaltung der Gesellschaft in einem reichen Land fördert Konkurrenzen zwischen Einheimischen und Migranten und vor allem Geflüchteten um bezahlbaren Wohnraum, um Plätze in Kitas und Schulen, um Ausbildung und gute Arbeit. Oft genug sind es jedoch nicht diejenigen, die sich in engen Verhältnissen einrichten müssen, die Ausgrenzung fordern. Es sind diejenigen, die weiter oben auf der gesellschaftlichen Pyramide leben. Es sind ihre Vorurteile und ihre Ängste etwas abgeben zu müssen zu Gunsten eines handlungsfähigen Staates, um die Folgen der von den Eliten unserer Gesellschaft so oft beschworenen Globalisierung sozial gerecht zu bewältigen, die den Weg in eine integrative Gesellschaft blockieren.

(zum Weiterlesen: Diskussionspapier des Friedensbildungswerks)

Dr. Wolfgang Uellenberg – van Dawen, Jg. 1950, Historiker war bis 2014 Leiter des Bereichs Politik und Planung der ver.di Bundesverwaltung in Berlin und Engagiert sich für eine humane Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik in Köln.

 

 

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