Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche

Dringender Handlungsbedarf für die Stadt

Die Bundesregierung hat für die Förderung von Kindern und Jugendlichen ein Aufholprogramm in Höhe von 2 Mrd. Euro bereitgestellt, das von den Bundesländern umgesetzt wird. Entsprechende Richtlinien werden derzeit auch in der Landesregierung NRW vorbereitet. Die Stadt Köln darf jedoch nicht abwarten und muss schnell die Förderung konkreter Maßnahmen, für die von den Folgen der Pandemie betroffenen Kinder und Jugendlichen beginnen. Besonders betroffen sind Kinder aus Familien mit internationaler Geschichte. Die Aufarbeitung und Heilung von Schäden der Pandemie in Schule und im familiären Umfeld muss Vorrang haben vor dem Aufholen von Lernlücken.

In der Presseveranstaltung am 23.06.2021 in der Gemeinschaftsgrundschule An St. Theresia in Köln Buchheim ging es um folgende Anmerkungen und Forderungen zum Aufholprogramm.

Die Aufarbeitung und Heilung von Schäden der Pandemie in Schule und im familiären Umfeld muss Vorrang haben vor dem Aufholen von Lernlücken – Die Stadt muss einen ganzheitlichen Ansatz in den Schulen fördern und die vom Bund angebotene Finanzierung umfassend und flexibel nutzen

Mit dem von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Aufholprogramm sollen im Nachgang zur Pandemie und den erfolgten Schulöffnungen Lernrückstände abgebaut, frühkindliche Bildung gefördert, Ferienfreizeiten und Außerschulische Angebote unterstützt und Kinder und Jugendliche im Alltag begleitet werden.

Das Programm wird durch die Bundesländer durchgeführt, die dazu auch die entsprechenden Ausführungsbestimmungen erlassen.

Gregor Stiels, Rektor der Gemeinschaftsgrundschule an St. Theresia, schilderte konkrete anhand konkreter Vorkommnisse, wo es an Unterstützung der Eltern fehlt.

Bislang ist die schulnahe Elternarbeit dort nicht erwähnt, aber mehrere Förderschwerpunkte werden nur mit der Einbeziehung der Eltern realisierbar sein. Das gilt für den Abbau von Lernrückständen, der besonders Kindern und Jugendlichen mit internationaler Geschichte zugutekommen soll und bei dem bereits in der Ausschreibung eine Kooperation mit Vereinen und Migrant*innenselbstorganisationen erwünscht ist. Eine Einbeziehung der Eltern einerseits und der Migrant*innenselbstorganisationen andererseits bei der Konzeption und Durchführung der Angebote gilt ebenso für die außerschulischen Angebote etwa die Familienfreizeiten, für das bürgerschaftliche Engagement sowie für die Förderung von Mehrgenerationenhäusern bzw. Zentren. Um der Vielfalt und der Praxis der örtlichen Träger gerecht zu werden, bedarf es daher einer flexiblen und über die lokalen Strukturen umsetzbaren Förderung.

Der Kölner Runde Tisch für Integration fordert daher von der Stadt Köln sich bereits jetzt mit den Fördermöglichkeiten des Aufholpaketes zu befassen und in Kooperation dem zuständigen Dezernat für Bildung, Jugend und Sport sowie dem Amt für Integration und Vielfalt die entsprechende Förderung für ein abgestimmtes Konzept zu beantragen, das nicht nur dem Aufholen von Lernrückständen dient, sondern unter Einbeziehung der Eltern und der jeweils lokalen Akteure dem Aufholen von verpasster Lebenszeit und Entwicklungsfortschritten im schulischen und außerschulischen Kontext.

Gönül Topuz, Fachbereichsleiterin Elternbildung des DTVK berichtete eindrück aus der Praxis ihrer Beratungsarbeit während der Pandemie.

Dafür sind folgende Fakten handlungsleitend.

Der Lebenslagenbericht der Stadt Köln, dessen sozialwissenschaftliche Daten vor der Pandemie erhoben wurden, macht deutlich, dass in Köln soziale Segregation herrscht. In Stadteilen, in denen die Wohnfläche pro Person, das Einkommen oder die Gesundheitsversorgung geringer, der Bezug von Grundsicherung aber höher ist, als im städtischen Durchschnitt bzw. in Stadteilen mit gut Verdienenden leben besonders viele Menschen mit internationaler Geschichte. Entgegen landläufiger Meinung haben Kinder und Jugendliche, die in internationalen Familien aufwachsen, nicht geringere Potenziale und Entwicklungsmöglichkeiten als alle anderen Kinder – im Gegenteil: Mehrsprachigkeit ist ein Vorteil. Aber diese Kinder werden durch die soziale Lage und die Ferne vieler Eltern zu unserem Bildungssystem sowie durch die unzureichende Ausstattung und Ausrichtung der Schulen am Lernerfolg gehindert.

Die Aufarbeitung und Heilung der durch die Pandemie bewirkten Schäden in den sozialen Beziehungen, in der individuellen Verfasstheit jedes einzelnen Kindes und den Familienstrukturen muss Vorrang haben.

Damit das gelingt und auch schon vor Corona bestehende Bildungsungerechtigkeiten nicht verschärft werden, muss einerseits prioritär die Ausstattung mit Lernmitteln bestehende Ungleichgewichte ausgleichen und andererseits muss Schule als soziale Gestalt stärker als bisher als Ort der Begegnung zwischen den Schüler*innen, dem Lehrpersonal und den Eltern gedacht werden.

Für die notwendige Rückbesinnung auf einen solchen ganzheitlichen Ansatz, der zum Ziel hat, Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien zu „empowern“, benötigt Schule Raum, Zeit und entsprechendes Personal. Das geht über die Stellen für Lehrpersonal hinaus in die gesamte Bandbreite sozialer Berufe und kann keine einmalige „Feuerwehrmaßnahme“ sein.

Bildungsexperte Ludger Reibert mahnte Reformen des Systems Schule an, die sich an einem ganzheitlichen Menschenbild orientieren.

Ein schnelles und zugleich langfristig wirksames Vorgehen ist möglich. Es erfordert die verlässliche Kooperation von Schulen mit den sozialen Diensten und den im Feld der Familienbildung, der Lernunterstützung und der Begleitung von Kindern und Jugendlichen tätigen Einrichtungen, insbesondere mit den interkulturellen Zentren und Vereinen und den sozialräumlich verorteten Trägern der Kinder- Jugend- und Familienhilfe. Hier hinein müssen koordiniert alle Unterstützungsgelder fließen, um darüber dauerhafte Vernetzungsstrukturen zu schaffen. Das Vorgehen ist kontinuierlich in den Schulleitungsrunden, mit der Bezirksjugendpflege und anderen verantwortlichen Akteur*innen abzustimmen.

Dieses Vorgehen muss an den Schulstandorten prioritär starten, die von der Pandemie besonders betroffen sind.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Elternarbeit in enger Kooperation mit den Grundschulen.

In der für alle herausfordernde Zeit der Einschränkungen durch die Infektionsschutzmaßnahmen waren besonders neu zugewanderte Eltern bzw. Eltern mit einer Distanz zum Bildungssystem besonders betroffen. Sie waren oft nicht in der Lage, die Informationen der Schule auf den Internetseiten zu lesen und zu verstehen. Interkulturelle Zentren und Migrant*innenselbstorganisationen sind dabei häufig Vermittelnde zwischen Schule und Elternhaus und helfen so strukturelle Benachteiligungen abzubauen. Dabei spielen folgende Qualitätsmerkmale eine wichtige Rolle:

  • Mehrsprachigkeit: die Kommunikation in der Herkunfts-, d.h. in der Denk- und Fühlsprache ermöglicht Eltern, sich besser auszudrücken und somit sind sie sicher in der Formulierung ihrer Fragen und Problemstellungen. Sie verstehen die Antworten und unmissverständlich und nehmen dadurch die Beratungsangebote an.
  • Migrationshintergrund/kultureller Hintergrund: Eltern mit internationaler Geschichte akzeptieren und vertrauen den Mitarbeiter*innen der Interkulturellen Zentren und Migrant*innenorganisationen, da diese meist auch einen Migrationshintergrund haben. Sie gehen davon aus, dass die Mitarbeiter*innen Empathie mitbringen und ähnliche Erfahrungen haben.

Beratung auf Augenhöhe: die Arbeit mit den Eltern in den Zentren und Migrant*innenorganisationen ist eine Beratung auf Augenhöhe. Es sind Empfehlungen von diesen Mitarbeitenden, die Eltern unterstützen, das bestmögliche für ihre Kinder zu entscheiden und sie bei ihrer schulischen Laufbahn unterstützen. Die Mitarbeitenden verhalten sich nicht „besserwisserisch“ oder intellektuell. Dadurch nehmen Eltern die Empfehlungen gerne an.

Gruppenfoto auf dem Schulhof.

Pandemie verschärft soziale Not. Besonders betroffen: Prekär Beschäftigte, Geflüchtete, Wohnungslose und Prostituierte

Pressemitteilung

Kölner Runder Tisch für Integration mahnt Arbeitgeber und öffentliche Hand

„Ausgebeutet und ausgegrenzt. Prekär Beschäftigte, Wohnungslose, Flüchtlinge und Prostituierte in der Pandemie Krise“ dieses Thema stand im Mittelpunkt des Plenums des Kölner Runden Tisches für Integration, das digital am 13. April 2021 stattfand. Mit kurzen Statements zur den Erfahrungen im Pandemie-Jahr eröffneten Jörg Mährle, Geschäftsführer der DGB Region Köln- Bonn und Anne Rossenbach, Sozialdienst katholischer Frauen Köln, den Abend

„Auch wenn Beispiele wie Tönnies und Amazon groß durch die Medien gehen, die angeprangerten Zustände sind keineswegs neu. Die Verhältnisse, wie Menschen im Niedriglohnsektor wohnen und arbeiten, wurden lange nicht zur Kenntnis genommen. Neben der Baubranche findet man ähnlich schlechte Arbeitsbedingungen auch im Bereich Dehoga, im Einzelhandel und in der Logistikbranche. Die Pandemie hat ihre Lage enorm verschlechtert.“ beklagt Jörg Mährle, Geschäftsführer der DGB- Region Köln- Bonn. Besonders betroffen seien Menschen im Niedriglohnsektor mit einem Stundenlohn von weit unter 11 Euro.

Der größte Dienstleistungskunde sei die Öffentliche Hand. Blickt man auf die Schulen, so waren früher Hausmeister und Reinigungskräfte bei der Kommune angestellt. Heute sind diese Arbeiten outgesourct und werden privatwirtschaftlich geleistet – unter höherem Druck und bei geringerer Entlohnung.

Dass in diesem Bereich viele Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sind, bestätigte Jörg Mährle. Manche bekommen nur 4 oder 5 Euro Stundenlohn. Darunter z.B. viele Osteuropäer, die auf dem Bau oder beim Spargelbauern arbeiten. Sie haben keinerlei Perspektive.

Kontrollen finden viel zu wenig statt. Dass es sich lohnt, konnte man letzte Woche sehen, als aufgedeckt wurde, wie Amazon mit Arbeitskräften umgeht. Als Selbständige werden sie mit 25 Euro Stundenlohn geködert. Verschwiegen wird jedoch: Wartezeiten werden nicht entlohnt, Auto, Wartung, Sprittgeld müssen sie selbst tragen, und so bleibt nach Abzug aller Kosten weniger als der Mindestlohn übrig.

Und doch gibt es genügend Menschen, die solche Jobs Hartz IV vorziehen. Weil das System sie entwürdigt und zum Bittsteller abstempelt. Welches Ausmaß an sozialem Sprengstoff sich darin verbirgt, findet zu wenig Beachtung.

Der seit fast einem halben andauernde Lockdown hat viele Jobs vor allem in der Gastronomie und im Einzelhandel vernichtet. Kurzarbeitergeld helfe dabei den wenigsten, ohne Existenzsorgen zu leben. In der Gastronomie verdienen die Beschäftigten das meiste über Trinkgeld und das wird in die Berechnung nicht einbezogen. Auch die meist Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel könnten vom Kurzarbeitergeld nicht leben.

In der Diskussion wurde auf die Situation von Frauen im Niedriglohnsektor aufmerksam gemacht. Vor allem diejenigen ordnen sich würdelosen Verhältnissen unter, deren aufenthaltsrechtliche Status daran hängt. Die Lebensunterhaltssicherung ist Voraussetzung dafür, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Wer Hartz IV bezieht ist chancenlos.

Kein Hartz IV und auch keine anderen Sozialleistungen bekommen Menschen aus den Südosteuropäischen EU-Ländern. Dies habe der Bundesgesetzgeber ausgeschlossen. Von daher bleibt ihnen nichts anderes übrig als sich auf den sog. Arbeiterstrich anzubieten und jede Arbeit annehmen zu müssen. Auch dies wurde durch die Pandemie deutlich erschwert. Auch Menschen, die auf Arbeit im grauen oder schwarzen Arbeitsmarkt angewiesen sind, finden durch den Lockdown im Dienstleitungsbereich kaum noch Arbeit.

Angesichts dieser Auflistung stellt sich die Frage: Was ist zu tun, um die Situation zu verbessern?

Jörg Mährle verwies darauf, dass zahlreiche Konzepte vorliegen, um z.B. die Grundsicherung und die Rentenfrage anzupassen und mehr Steuergerechtigkeit herzustellen. Zur Umsetzung fehlt das Votum der politischen Entscheidungsträger*innen. Mit Blick auf die kommunale Ebene appellierte er, die Stadt solle durch ihre Ausschreibungs- und Vergabepraxis Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort nehmen.

Auch darüber hinaus ist die Kommune gefordert.

„Massiv hat die Pandemie die Lebensbedingungen vieler Menschen, die auf soziale Hilfe angewiesen seien, verschlechtert. Dies wird in der öffentlichen Diskussion und auch in der Politik viel zu wenig beachtet“ kritisierte Anne Rossenbach vom SkF.

Als plötzlich die Geschäfte geschlossen und die Straßen leer wurden, gab es für Wohnungslose keine Möglichkeit mehr, zu betteln. Einige soziale Einrichtungen stellten aus Hygienegründen den Betrieb ein, Behörden waren nur noch eingeschränkt erreichbar und sind das bis heute. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung haben die Träger daraufhin gemeinsam mit der Stadtverwaltung die Verteilung von Lebensmittelpaketen organisiert und die Möglichkeit der rudimentären Hygiene mit einem Duschbus sichergestellt. Der SkF sicherte wie andere Träger der Wohnungslosenhilfe die Betreuung von Obdachlosen, indem mit einer Ausweitung der Öffnungszeiten darauf reagiert wurde, dass sich unter Einhaltung der Abstandsregeln nicht mehr so viele Menschen gleichzeitig in den Räumen aufhalten konnten. Im Rahmen der Winterhilfe wurden dann weitere Plätze für obdachlose Frauen und Männer mit der Stadt geschaffen. „Doch die Pandemie hat uns die Not vieler Menschen, die sonst im Strom der Passant*innen untertauchen konnten, noch einmal sehr deutlich gemacht.“

Kolleg*innen der ambulanten Familienhilfe stellten fest, dass wegen der geschlossenen Schulen in einigen Haushalten die Kinder unterversorgt waren. Es fehlte schlicht an Essen.

Prostituierten wurde ihre Tätigkeit verboten. Diese haben aber meist nur das Geld, das sie durch ihre Sexarbeit einnehmen. Von jetzt auf gleich mussten die Frauen vollversorgt werden. 244 Frauen wurden so seit dem Ausbruch der Pandemie mit dem Nötigsten versorgt und in weitere Hilfe begleitet. Es gelang, einige in Minijobs zu vermitteln. Für andere, die völlig mittellos waren, wurden Sozialleistungen erkämpft, obwohl sie nicht anspruchsberechtigt waren.

Der Umgang mit Ämtern und Institutionen fand nicht mehr persönlich, sondern nur noch online statt. Doch die Gruppe der Bedürftigen verfügt meist nicht über eine entsprechende technische Geräte. Es ist vielleicht ein Handy vorhanden, aber kein PC und kein Drucker.

Das wirkte sich auch dramatisch für die Kinder im Homeschooling aus. Für die Ausstattung der Familien verwiesen die Jobcenter auf den Digitalpakt Schule und die Schulen schickten die Eltern zum Jobcenter. Die betroffenen Eltern fühlten sich hilflos und ausgeliefert.

Zum Glück funktioniere in Köln die humanitäre Unterstützung verhältnismäßig gut, schloss Anne Rossenbach. „Doch anhand der Pandemie ist überdeutlich geworden, welche Gruppen keine oder nur wenig gesellschaftliche Relevanz haben.“

„Wir wollten in der Krise unserer Gesellschaft die elenden Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen, die es schon vor der Pandemie schwer hatten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ein würdiges Leben führen zu können, sichtbar machen. . Gerade sie brauchen mehr Unterstützung und vor allem Arbeit, von der sie leben können“ fordert Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Sprecher des Kölner Runden Tisches für Integration.

Pressemitteilung des Integrationsrats zu den Äußerungen von Herrn Innenminister Reul zum Ebertplatz

Herr Eli Abeke, stellvertretendes Vorstandsmitglied im Integrationsrat Köln, kritisiert die öffentliche Forderung von Herrn Innenminister Reul nach Schließung eines afrikanischen Restaurants am Ebertplatz und begrüßt die heutige differenzierte Berichterstattung in den Kölner Medien.

Herr Abeke weist darauf hin, dass es sich beim ‚African Drum‘ um ein Restaurant für afrikanische Spezialitäten aus Nigeria handelt, das seit 13 Jahren am Ebertplatz beheimatet ist und überwiegend von Menschen aus Westafrika aber auch von vielen weißen Kölnern besucht wird:

„Herr Innenminister Reul rückt mit seiner Forderung das ‚African Drum‘ zu schließen, einen wirtschaftlich erfolgreichen Kölner Migranten ins Zwielicht, der hier bestens integriert ist, Steuern zahlt und an einem städtebaulich sehr schwierigen Standort mit viel Einsatz ein Restaurant betreibt. Wir sind in Köln eine vielfältige Gesellschaft und wollen nicht, dass hier Misstrauen verbreitet wird und ein Keil zwischen den afrikanischen Migranten und den Kölnern getrieben wird. Aus meiner Sicht sollte ein Innenminister großen Wert auf die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts legen, statt mit solchen Aussagen in Köln Unsicherheit zu verbreiten, zu spalten und die Erwerbssicherung eines erfolgreichen Gastronomen aus Afrika zu gefährden.“

Herr Abeke führt aus, dass es sich bei den jungen Männern am Ebertplatz um Menschen aus verschiedenen Ländern Afrikas mit ungeklärter Aufenthaltsperspektive, ohne Beschäftigung und größtenteils ohne familiäre Anbindung und Ansprechpartner handelt.

„Wir reden hier von Menschen die am unteren Ende einer kriminellen Kette des Drogenverkaufs stehen. Ich erwarte vom Herrn Innenminister und der Polizei, dass sie vorrangig die kriminellen Strukturen in den Focus nehmen und die wahren Nutznießer der Drogengeschäfte verfolgen und den entwurzelten jungen Menschen am Ebertplatz Perspektiven aufzeigt.“
Der Integrationsrat Köln diskutiert in verschiedenen Arbeitskreisen u.a. auch die Möglichkeiten einer Verbesserung der Situation und Geflüchteten in Köln und gibt Empfehlungen und Anregungen an das Amt für Integration und Vielfalt und weitere städtische Dienststellen. Lt. Berichterstattung in der Presse kommen etliche junge Menschen am Ebertplatz aus anderen Städten in NRW. Wünschenswert wäre eine entsprechende Betreuung und Begleitung in diesen Städten, damit sie dort besser angebunden sind und nicht am Ebertplatz kriminellen Geschäften nachgehen müssen.

Köln 27.08.19

Gruppendiskriminierung im „Express“ – Flüchtlinge sind keine „Winterurlauber“

Mit einem offenen Brief haben sich unsere beiden Mitgliedsorganisationen, Rom e.V. und Kölner Flüchtlingsrat e.V., an die Chefredaktion des Kölner „Express“ gewandt. Hintergrund war ein Artikel in der Ausgabe vom 30.01. 2019.

Flüchtlinge sind keine „Winterurlauber“

In der vergangenen Woche erschien in der Kölner Zeitung „Express“ ein Artikel mit der Überschrift: 2700 „Winterflüchtlinge“ vom Balkan. „Urlauber“-Ansturm auf die Notunterkünfte Kölns“.

Im Artikel selber wird unter der Zwischen- Überschrift: „Ein Insider packt aus“ mit dem Vorspann: „Ein Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe berichtet EXPRESS:“ wie folgt zitiert: „ Die Leute freuen sich, dass sie im Gegensatz zu ihrer Heimat über die Wintermonate ein warmes, sauberes Heim, gute Verpflegung und medizinische Versorgung haben. Für sie ist das quasi wie ein traumhafter Urlaub. Deswegen kommen viele jedes Jahr mit ihrer Familie nach Köln. Sie mögen es hier“. Weiter wird der anonyme Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe indirekt zitiert, dass „Langfinger“ mitanreisen würden, um an Weihnachten und Karneval reichlich Beute zu machen.

Dazu erklären der Vorstand des Rom e.V. und der Kölner Flüchtlingsrat e.V.:
1) Die einzige halbwegs korrekte Angabe im Artikel ist die Zahl der 2700 „Winterflüchtlinge“: Im gesamten Jahr 2018 sind 3.200 Menschen unerlaubt eingereist. In den Monaten Oktober bis Dezember 2018 waren es 2.000. Einzigartig hoch ist das nicht, weil in den Jahren 2015 und 2016 jeweils ca. 4.000 Menschen unerlaubt einreisten.
2) Dass vom Balkan viele „unerlaubt einreisen“ hängt mit der Tatsache zusammen, dass durch politischen Mehrheitsbeschluss entgegen den Erkenntnissen des UNHCR und anderer die Staaten Ex-Jugoslawiens als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ definiert wurden, in denen angeblich keine systematische Diskriminierung und Entrechtung von nationalen Minderheiten existiert. Entsprechend wurde das Asylverfahren für Antragsteller dieser Länder so „gestrafft“, dass Anerkennungsquoten von weit unter 10% erzielt wurden. Verfolgten und entrechteten Menschen aus den Westbalkanstaaten bleibt so nur noch der Ausweg über die Meldung als „unerlaubt Eingereiste“ und die Angabe von Duldungsgründen außerhalb des Asylverfahrens.
3) Die Fluchtbewegungen aus diesen Ländern hängen zudem mit dem Erstarken nationalistischer und rechtsextremer Kräfte in mehreren Balkanstaaten zusammen. Das betrifft Albanien und Kosovo, wie aber auch Serbien und Mazedonien, hier auch unter dem Eindruck der Vorbereitung der EU-Mitgliedschaft, die in diesen Ländern höchst umstritten ist.
4) Uns liegen keinerlei Informationen der Kölner Polizei vor, die von einem Zusammenhang von Anstieg der Flüchtlingszahlen und einem entsprechenden Anstieg der Taschendiebstähle zur Weihnachtszeit ausgehen.
5) Hier von Winterflüchtlingen, Urlaubern und Langfingern, bezogen auf alle 2.000 Flüchtlinge zu reden, stellt eine unzulässige Gruppendiskriminierung aller neu angekommenen Flüchtlinge dar, die – gewollt oder ungewollt – in Teilen der Leserschaft Intoleranz und Hass fördert.
6) Wir sind sicher, dass sich alle ehrenamtlichen „Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe“ mit größter Empörung von den Äußerungen des „Anonymus“ distanzieren. Wir sind ebenso sicher, dass bei allen professionellen „Mitarbeitern in der Flüchtlingshilfe“, die bei der Stadt, den Wohlfahrtsverbänden oder freien Trägern angesiedelt sind, größtes Unverständnis über diese Äußerungen eines möglichen Kollegen herrscht.
Wir appellieren an die Chefredaktion des Kölner Express, in Zukunft solche gruppendiskriminierenden Äußerungen gegenüber einzelnen Flüchtlingsgruppen in Köln zu verhindern

Köln, den 05.02.2019
Vorstand des Rom e.V. Kölner Flüchtlingsrat e.V.
i.A. Ossi Helling gez. Claus-Ulrich Prölß

12 000 Menschen zeigen in Köln Haltung

Bei schönstem Spätsommerwetter füllte sich der Roncalli-Platz und als um 14 Uhr die Band „Buntes Herz“ die Kundgebung eröffnete, zeichnete sich ab, dass die Teilnehmer*innenzahl die Erwartungen weit übersteigen würde. Das Motto „Aufnehmen, Hierbleiben, Solidarität“ mobilisierte Tausende Menschen, sich nun – insbesondere nach den Ausschreitungen in Chemnitz – zu versammeln und für die offene Gesellschaft und das Bleiberecht von Geflüchteten einzutreten. Wolfgang Uellenberg-van Dawen forderte mit deutlichen Worten und unter großem Beifall Landesregierung und Bundesregierung zum Handeln auf. Einen Höhepunkt stellte die Rede von Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat dar, der mit seinem kämpferischen Vortrag begeisterte.

Anschließend führte ein Demonstrationszug über den Alter Markt zum Heumarkt, wo der gemeinsame Auftritt von Carolin Kebekus, Max Mutzke, Luke Mockridge und Kasalla das Publikum mitriss. Rap und Poetryslam, Kabarettisten wie Philip Simon und Wilfried Schmickler, dazu Jilet Ayse und 100% Mensch sorgten für ein kurzweiliges Programm, ohne jemals den Bezug zu Toleranz und Asylrecht verlieren. Zahlreiche starke Frauen traten für eine solidarische Gesellschaft auf die Bühne, allen voran Kölns Oberbürgermeisterin Reker. Ciler Firtina führte durch die Fülle der Beiträge, deren Ton zwischen entschieden, wütend, mahnend, streitbar, unterhaltsam, tapfer, informativ und emotional wechselte. Die Mischung stimmte und ließ niemand unberührt.

Im Wortlaut folgt die programmatische Rede von Claus-Ulrich Prölß.

„Liebe Freundinnen und Freunde,
die Mutter aller Probleme sei die Migration – so Horst Seehofer letzte Woche auf einer CSU-Klausurtagung.
Nein, Herr Seehofer. Die Mutter aller Probleme ist die wirtschaftliche, politische und militärische Zerstörung von Lebensgrundlagen, ist Armut und eine zerstörerische Welthandelsordnung, und die Mutter aller Probleme ist  Deutschland und eine Europäische Union, die wichtige Teile dieser ungerechten Ordnung sind und die Fluchtursachen eben überhaupt gar nicht bekämpfen, sondern verfolgungs- und fluchtauslösende Machtverhältnisse zementieren und Europa mit Hilfe der gerade hochgerüsteten Frontex-Grenztruppe zu einer quasi paramilitärischen Festung ausbauen!

Der Vater aller Probleme, Herr Seehofer, sind aber Sie, ein Bundesinnenminister, der Verständnis für den Aufmarsch der Nazis, AfD’ler und Pegida-Anhänger in Chemnitz hat, der den Schutz von Flüchtlingen verweigert und den Rechtsstaat aushebelt, wo er nur kann, der ein Meister der Ausgrenzung ist und der das Land spaltet!
Der Vater aller Probleme ist ein NRW-Innenminister, der ein mutmaßliches „Rechtsempfinden der Bevölkerung“  über das Recht stellt und rechtswidrige Abschiebungen politisch verteidigt.
Der Vater aller Probleme ist ein CSU-Landesgruppenvorsitzender, der von einer „aggressiven Anti-Abschiebe-Industrie“ spricht, wenn ehrenamtliche Helfer, Flüchtlingsberater und Anwälte Geflüchtete darin unterstützen, den grundgesetzlich garantierten Rechtsweg zu beschreiten

und der Vater aller Probleme ist ein Verfassungsschutzpräsident, der sich mit AfD-Funktionären zu vertraulichen Gesprächen trifft, der sich zu den Chemnitzer Ereignissen politisch haarsträubend positioniert, ohne gefragt worden zu sein, der die Echtheit eines Videos – und damit die Echtheit des Geschehens – bezweifelt, obwohl an dieser Echtheit kein Zweifel besteht und der schon in seiner Promotionsarbeit 1997 von „sogenanntem AsylTourismus“ sprach und den Abbau völkerrechtlicher Normen, die den Schutz der Flüchtlinge, betreffen, rechtfertigte. Ausgerechnet er soll unsere Verfassung schützen? Was ist das denn? Das Maß ist voll, Herr Maassen!

Nicht nur einzelne Personen, nicht nur Nazis und sog. „besorgte Bürger“, die in Wahrheit nicht besorgt sind, sondern enthemmt, verroht, rassistisch und demokratiefeindlich, nicht nur sie greifen Rechtsstaat und Freiheitsrechte an, der Angriff kommt auch von Innen und er kommt aus einer selbsternannten „Mitte“, die keine „Mitte“ ist, sondern nur so tut!

Während antirepublikanische, faschistoide Regierungen in Europa den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ – erinnert ihr Euch noch? – verlassen haben und eine menschenverachtende völkerrechtswidrige Flüchtlingspolitik betreiben, ist das Asylrecht auch in Deutschland mittlerweile zu einem winzig kleinen „Asylrechtlein“ demontiert worden.

  • Anstelle von fairen und rechtsstaatlichen Verfahren werden Rechtschutz- und Rechtsweggarantien abgebaut.
  • Anstand die oftmals kranken und traumatisierten Menschen erst mal ankommen zu lassen, werden sie Ruckzuck mit freiwilliger Ausreise oder Abschiebung konfrontiert und in Schnellverfahren und kurze Prozesse gedrängt, in denen Viele dann – zumal ohne Rechtsbeistand – chancenlos sind.
  • Anstelle von schneller Integration werden die Menschen mehrere Monate, ein halbes Jahr und Viele auch noch länger bis zu ihrer Abschiebung in Ankerzentren oder ähnliche Flüchtlingslager der Bundesländer gesteckt und erhalten dort Schul-, Bildungs- und Beschäftigungsverbote. Sie erhalten dort Anti-Integration.
  • Anstelle des grundgesetzlichen besonderen Schutzes von Ehe und Familie wird der Familiennachzug eingeschränkt und der grundgesetzliche Anspruch darauf für Viele zu einem Gnadenrecht. Das verstößt insbesondere auch gegen das Kindeswohl und gegen alles, was mit Humanität zu tun hat.
    Anstelle des Flüchtlingsschutzes werden unter dem Label „Integriertes Rückkehrmanagement“ Abschiebungen in Kriegs-, Krisen- und Armutsländer durchgezogen.

Liebe Freundinnen und Freunde, in Afghanistan gibt es nach Berichten des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen keine einzige „sichere“ Region, in die man abschieben kann! Menschenrechte sind aber unteilbar!


Dass trotzdem nach Afghanistan abgeschoben wird, z.B. nächsten Dienstag, ist ein unglaublicher Vorgang, weil hier sehenden Auges, wissentlich und bewusst Menschen gefährdet werden, alleine aufgrund einer politischen Entscheidung, alleine weil man das durchziehen will und es durchziehen kann. Amnesty International fordert sofortigen Abschiebungsstopp – und wir auch!

Liebe Freundinnen und Freunde,
wer Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit wirklich bekämpfen will, muss Menschen- und Freiheitsrechte ausbauen, muss den Flüchtlingsschutz stärken, und muss die Armut bekämpfen und keine Symbolpolitik, sondern eine Politik der sozialen Gerechtigkeit machen.

Wer aber das Gegenteil betreibt, der verfolgt den Umbau dieser Republik, der verfolgt eine Politik der Rechtlosigkeit, der Irrationalität, des Populismus, der sozialen Ungerechtigkeit und der gesellschaftlichen Spaltung! Dagegen müssen wir ankämpfen und deshalb müssen wir in Köln – müssen wir alle überall – Haltung und Solidarität zeigen!

Haltung zeigen gegen Rechts, gegen Demokratieabbau und gegen die Armut. Solidarität zeigen mit Geflüchteten – aktiv und praxisorientiert -, und Solidarität zeigen mit allen, die sie brauchen.
Vielen Dank!“

Rede von Claus-Ulrich Prölß, gehalten am 16. Sptember auf dem Roncalliplatz in Köln im Rahmen der Kundgebung „Köln zeigt Haltung!“

Deutliche Korrekturen der Sondierungsergebnisse in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik gefordert

Pressemitteilung des Runden Tisches:

Schreiben an die Kölner Bundestagsabgeordneten von CDU und SPD.

Ein schneller und unbürokratischer Familiennachzug für subsidiär Geschützte, frühzeitige Integration in den Kommunen und deutliche Erleichterungen im Bleiberecht für langjährig Geduldete sowie ein großzügiges Einwanderungsgesetz sind die wesentlichen Forderungen des Kölner Runden Tischs für Integration für die Koalitionsverhandlungen und die weiteren Gesetzgebungsverfahren.

In dem von Wolfgang Uellenberg – van Dawen als Sprecher und den stellvertretenden Sprecherinnen Hannelore Bartscherer, der Vorsitzenden des Kölner Katholikenausschusses sowie der Pfarrerin Reinhild Widdig als Vertreterin der evangelischen Kirche unterzeichneten Brief werden die Kölner Bundestagsabgeordneten von SPD und CDU zu deutlichen Korrekturen gegenüber dem, was SPD und Union in der Flüchtlings- und Migrationspolitik ausgehandelt haben, aufgefordert.

In dem Schreiben heißt es:

„Die vorliegenden Sondierungsergebnisse zum Familiennachzug sind weder zielführend noch nachvollziehbar. Dies gilt für die Begrenzung des Nachzugs auf 1000 Menschen im Monat wie für die in einem Vorschaltgesetz festzulegenden Beschränkungen der Nachzugsberechtigung.“

Eine feste Obergrenze zu Lasten der Aufnahme von Geflüchteten, des Familiennachzugs sowie der legalen Einreise im Rahmen der Resettlement Programme der UN führen, lehnt der Kölner Runde Tisch ab.

Hingegen fordert er „die schnelle Zuweisung Geflüchteter an die Kommunen. Monatelange Aufenthalte in Aufnahmelagern stehen dem entgegen.

„Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer zur Verfahrensbeschleunigung wie es im Sondierungspapier heißt, lehnen wir ebenso ab, denn sie ordnet Menschenrechte den Interessen der Innenbehörden unter.“ Kritisiert Wolfgang Uellenberg van Dawen

Stattdessen fordert der Kölner Runde Tisch für Integration Erleichterungen beim Bleiberecht für langjährig geduldete. „Voraussetzung für die Erlangung des Bleiberechts sind auch Identitätspapiere, die aber gerade von Flüchtlingen, insbesondere Kriegsflüchtlingen, oft nicht vorgelegt werden können. Dies gilt insbesondere für die Kinder von Flüchtlingen, deren Eltern keine Papiere besitzen. Letztere dürfen wegen der Papierlosigkeit ihrer Eltern beim Erwerb des Bleiberechts nicht schlechter gestellt werden als andere Kinder und Jugendliche.“

Für zaghaft und wenig zukunftsorientiert hält der Runde Tisch für Integration die Passage über ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. „Die angestrebte gesetzliche Regelung der Fachkräfteeinwanderung darf sich nicht auf eine kleine Zahl hochqualifizierter Menschen beschränken, sondern muss vielen jungen und motivierten Menschen etwa aus Afrika oder aus Balkanländern den Zugang zu guter Ausbildung und Arbeit eröffnen. Den aufnehmenden Kommunen muss eine ausreichende Unterstützung zugesichert werden.“

Brief an die neuen Bundestagsabgeordneten aus Köln und der Region

Kölner Runder Tisch für Integration fordert eine großzügige Einwanderungsgesetzgebung, legale Einreise, Bleiberecht und Familiennachzug für Geflüchtete und lehnt Flüchtlingslager und eine zahlenmäßige Begrenzung für die Aufnahme Geflüchteter ab.

In einem Brief hat der Kölner Runde Tisch für Integration den neu gewählten Bundestagsabgeordneten aus Köln und der Region „Anforderungen an eine menschenwürdige und integrative Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aus kommunaler Sicht“ mit auf den Weg gegeben.

Darin plädiert er für eine Einwanderungsgesetzgebung, die „mehr Menschen das Recht geben (soll) in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen und ihren Lebensmittelpunkt zu finden. Dies darf sich nicht nur auf eine kleine Schicht von hochqualifizierten Fachkräften beschränken, sondern muss gerade jungen und motivierten Menschen etwa aus Afrika oder den Balkanstaaten den Zugang zu guter Arbeit, zur Ausbildung und zum Studium mit einer anschließenden Beschäftigung ermöglichen. Eine Einwanderungsgesetzgebung muss jedoch ebenso die Rahmenbedingungen dort mit in den Blick nehmen, wo die Eingewanderten arbeiten und leben, in den Kommunen. Deutschland darf nicht noch einmal den Fehler machen, dass Arbeitskräfte geholt wurden und Menschen gekommen sind, die gute Arbeits- und gute Lebensbedingungen brauchen“.

In der Flüchtlingspolitik muss die Trennung von Flüchtlingen in solche mit und ohne Bleiberechtsperspektive im Zugang zu Arbeit, Bildung und Integrationsangeboten aufgehoben werden. „Langjährig Geduldete benötigen endlich ein Bleiberecht, so wie dies Rat und Verwaltung in Köln mit ihren Möglichkeiten realisieren wollen“.

Notwendig ist die Aufhebung aller Beschränkungen der Familienzusammenführung wie der für subsidiär Geschützte. Solche Beschränkungen behindern Integration und sie widersprechen unserem Grundgesetz.“

Statt Ausdehnung der Liste sicherer Herkunftsländer und weiterer Abkommen der EU mit afrikanischen Staaten oder Libyen zur Abwehr von Geflüchteten fordert der Runde Tisch „legale Einreisemöglichkeiten, die eine Prüfung des Schutzanspruches in Europa gewährleisten.“

Flüchtlingsaufnahme- oder Einreisezentren werden prinzipiell abgelehnt. „Wer Menschen in Lager sperrt, um sie über Monate bürokratischen bzw. gerichtlichen Entscheidungsverfahren zu unterwerfen ohne ausreichenden rechtlichen Beistand, ohne Integrationsangebote, ohne die Zeit für eine ausreichende Gesundheitsversorgung und professionelle Hilfe bei Traumata, ohne Solidarität und Hilfe ihrer Mitmenschen, getrennt noch von anderen Familienangehörigen verstößt gegen den Artikel 1 Absatz 1 unseres Grundgesetzes. Er stellt das Interesse des Staates über die Würde und die Rechte schutzsuchender Menschen.“

Der Kölner Runde Tisch lehnt auch die von den Unionsparteien angestrebte Zielgröße zur Aufnahme von 200 000 Geflüchteten jährlich, mit der Möglichkeit der Ausweitung bzw. der Reduzierung festgelegt durch ein vom Bundestag zu verabschiedendes Gesetz, ab. „Die Gewährleistung des Grundrechts auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention sind in diesem Modell einer Flüchtlingsbegrenzung nicht gesichert.

In dem vom Sprecher des Kölner Runden Tischs Wolfgang Uellenberg – van Dawen und den stellvertretenden Sprecherinnen Hannelore Bartscherer, Vorsitzender des Katholikenausschusses und Pfarrerin Reinhild Widdig unterschriebenen Brief heißt es abschließend:

In weiten Teilen der Gesellschaft und der demokratischen Parteien besteht Übereinstimmung darüber, auf unser Grundgesetz und die ihm zu Grunde liegenden Werte zu verweisen, wenn wir Orientierungen und Maßstäbe für das Zusammenleben in einer von Vielfalt der Kulturen und Religionen bestimmten Gesellschaft bestimmen. Dies können wir gegenüber denen, die in unser Land gekommen sind und noch kommen werden glaubwürdig aber nur dann tun, wenn wir uns selbst an das Grundgesetz und seine Werte und damit an die von Deutschland eingegangenen völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen halten. Es geht gerade in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik nicht nur um die, die zu uns kommen wollen, sondern ebenso um uns selbst.“

Autoren:  Wolfgang Uellenberg – van Dawen und Claus-Ulrich Prölß

 

Aus der Halle in die Halle – Die Flüchtlinge werden nicht gefragt

Hervorgehoben

Am 14. Juni kam Hans-Jürgen Oster zum Plenum des Runden Tisches für Integration, um sich und seine Arbeit vorzustellen. Er betonte zu Beginn, dass der Name seiner Dienststelle „Stabsstelle Flüchtlingskoordination“ vorläufigen Charakter hat. Ob daraus mal ein „Amt für Integration“ wird, wie es Wolfgang Uellenberg van Dawen, der Sprecher des Runden Tisches, in seiner Begrüßung andeutete, ließ er offen.

Wohnungen für Flüchtlinge war das Hauptthema an diesem Abend im Dom-Forum. Schon am 21. Mai war aus dem Stadt-Anzeiger zu erfahren: „’Wir werden den Einstieg in den Ausstieg aus den Hallen in diesem Jahr beginnen’, sagte Flüchtlingskoordinator Hans Oster, stellte aber auch klar: ‚Nicht alle 24 derzeit belegten Hallen sind Ende 2016 geräumt. Wir werden auch im kommenden Jahr noch auf Turnhallen als Notunterkünfte angewiesen sein.’“

Hans-Jürgen Oster machte deutlich, dass von einer Entspannung keine Rede sein könne. In den vergangenen Wochen kamen wöchentlich 225 Flüchtlinge und von den Landesbehörden wurde mitgeteilt, dass es in den nächsten drei Wochen jeweils 250 Flüchtlinge sein werden.

Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates, betonte, dass seine Aufgaben die Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse der Flüchtlinge sei und entsprechend scharf kritisierte er, dass ein Drittel der Flüchtlinge in Turnhallen und Gewerbehallen wohnen: in Zahlen sind das 5.000 Menschen. Er sprach auch die besondere Problematik der Geduldeten an, die teilweise seit 10 bis 15 Jahren in Köln leben und er verwies auf die immer schlechter werdenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, die das Flüchtlingsrecht zunehmend zugrunde richten. Mit dem Verlesen eines Briefes von Ehrenamtlichen, die Flüchtlinge in einer Halle in Weiden unterstützen, vermittelte er, dass Hallen für Familien ein nicht länger hinnehmbarer Zustand ist.

Verwaltungsfachmann Oster zeigte für alles Verständnis, sieht aber keine Chance die Hallen als Wohnraum schnell zu beenden. Die Stadt Köln habe nur noch wenige Flächen für den Wohnungsneubau und zum Aufstellen der geplanten Leichtbauhallen, in die die Flüchtlinge aus den Turnhallen umziehen sollen. Zweigeschossige Holzhäuser wie sie in vielen ländlichen Gemeinden und Kleinstädten in 6 – 8 Monaten gebaut werden konnten, kämen für Köln nicht in Frage, da keine der angefragten Firmen die feuerpolizeilichen Auflagen erfüllen kann. An der Feuerwehr scheitert selbst der Wunsch nach Trennwänden zwischen den Familienbetten in den Leichtbauhallen. Auch sie seien leicht brennbar und Hindernisse für Fluchtwege. Monika Kuntze von der Flüchtlingshilfe der Caritas hat berichtet, was es für die Menschen in den Hallen bedeutet über Monate ohne Privatsphäre leben zu müssen.

ZeltEs bedeutet 23 Quadratmeter neue Heimat für Flüchtlinge – für Kinder, Alte, für ganze Familien. Millionen von Menschen leben in UNHCR-Flüchtlingszelten. Sie wohnen und schlafen auf engstem Raum. Oft für Jahre, sogar Jahrzehnte. Doch das Zelt rettet ihr Leben. Quelle: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/aktiv-werden/bewusstsein-schaffen/fluechtlingszelt.html

Klaus Jünschke hat vorgeschlagen den Familien das UNHCR-Flüchtlingszelt zu zeigen und sie entscheiden zu lassen, ob sie darin leben wollen oder lieber weitere Monate und Jahre in Turnhallen und Leichtbauhallen. Zuerst hat Herr Oster geantwortet, dass dies wegen dem vielen Regen hier nicht möglich sei. Als Klaus Jünschke darauf verwies, dass die Zelte auch in Regionen im Irak stehen, wo es sehr kalt wird, hat der Flüchtlingskoordinator die Standards der Bundesrepublik beschworen: man wolle in Köln keine Flüchtlingsunterbringung wie in der Dritten Welt. Die Verwaltung will die Flüchtlinge nicht fragen, was ihnen lieber ist. Herr Oster will und kann nicht sagen, wie lange Flüchtlinge nach dem Umzug aus den Turnhallen im Jahr 2017 noch in den Leichtbauhallen mit 80 Betten leben sollen.

Der Flüchtlingsrat und alle Willkommensinitiativen in Köln müssen die Flüchtlinge fragen, ob sie weiter in den Hallen bleiben wollen oder ob sie in ein UNHCR-Zelt umziehen wollen. Es gibt auch andere schnelle Wege raus aus den Hallen, zum Beispiel mit dem Aufstellen von Wohnwagen. Gebrauchte Wohnwagen sind besser als jedes Hotel. Ob Zelte oder Wohnwagen – beides ist besser als die Hallenunterbringung.

Claus-Ulrich Prölß hat in seinem Vortrag auch darauf hingewiesen, dass es keine Gewaltschutzkonzepte für die Flüchtlinge in den Hallen und Sammelunterkünften gibt. Aber alle Beteiligten wissen, dass es in den Hallen und den Sammelunterkünften Subkulturen gibt, in denen das Recht des Stärken gilt.
Die Menschen müssen da raus.

Klaus Jünschke, 15. Juni 2016 – überarbeitet am 24. Juni 2016

Impuls für eine Diskussion in der Stadtgesellschaft

Hervorgehoben

Nach den massvven Übergriffen auf Frauen am Kölner Hauptbahnhof und anderswo in der Sylvesternacht besteht in der Stadt nach wie vofr ein großer Diskussionsbedarf. Es kommt nicht darauf an, Botschaften zu verkünden, sondern aus einer der Menschenwürde aller verpflichteten Sichtweise über das, was geschehen ist, aufzuklären, über Ursachen zu diskutieren, Probleme zu benennen und Lösungen einzufordern.

Auf Initiative des Kölner Friedensbildungswerks sind dabei die folgenden Texte entstanden, an deren Erstellung Mitglieder des Kölner Runden Tischs beteiligt waren.

Unser Impuls für eine Diskussion in der Stadtgesellschaft

Zum ersten Mal hat es in unserer Stadt massenhafte sexualisierte Gewalt gegen Frauen an einem öffentlichen Ort gegeben. Diese Gewalt wurde unter den Augen der eingesetzten Polizei ausgeübt und trotzdem konnte den Frauen nur begrenzt geholfen werden.Nach den bisherigen Erkenntnissen sind die mutmaßlichen Täter in ihrer Mehrzahl junge Männer mit Migrationshintergrund gewesen. Sie sollen vor allem aus den Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien und Tunesien) kommen. Dabei ist vieles noch unklar, ob es sich um junge Männer handelt, die seit längerem illegal in Europa / Deutschland leben und / oder auch um solche, die erst seit kurzem hier Schutz gesucht haben.

Es gibt einen erheblichen Diskussionsbedarf in unserer Stadtgesellschaft

Es braucht eine klare Position gegen sexuelle Gewalt und diejenigen, die die Gewalt ausüben und relativieren. Wir sind gegen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus und unterstützen die Initiative #ausnahmslos.

Viele Flüchtlinge haben klar und eindeutig Position bezogen gegen die sexualisierte Gewalt und die Tatverdächtigen.

Wenn die Diskussion über die Übergriffe in Köln und ihre Ursachen mit halbherzigen Erklärungen beschwichtigt wird, besteht die Gefahr, dass die Willkommenskultur Schaden leidet und die sexuelle Gewalt unter den Tisch fällt.

Wir wollen über folgende Punkte diskutieren:

Führt die soziale Lage im Maghreb und die Erziehung in einer von einem unreflektierten Islam und patriarchalischen Verhältnissen bestimmten Familie zu solchen Auswüchsen? Dies gilt besonders für das Machogehabe sowie die auch durch eine spezifische Interpretation der Religion legitimierte Ungleichheit von Frauen und Männern.

Diese Diskussion zu führen ist der beste Weg um Verallgemeinerungen und rassistische Zuschreibungen zu vermeiden und all denen entgegenzutreten, die dies betreiben. Diese Diskussion und mögliche Schlussfolgerungen können aber nur unter einer Prämisse geführt werden.

Dies ist das Gebot des Artikel 1 unseres Grundgesetzes:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. muss die Antwort sein. Wir sind uns bewusst, dass die Integration in einer Gesellschaft, in der die Armen ärmer und die Reichen reicher werden, allein mit Sozialarbeit und Pädagogik nicht gelingen kann. Nicht nur Menschen müssen sich ändern, auch die Verhältnisse, die die sozialen Ungleichheiten verschärfen, müssen geändert werden. Alle Runden Tische und Gremien, die sich mit diesem Thema beschäftigen, sollten auch mit Fachleuten aus der sozialen Arbeit, den Organisationen gegen sexuelle Gewalt sowie VertreterInnen aus der Zivilgesellschaft besetzt werden.

Die Fehler und Mängel einer unzureichenden interkulturellen Integration der Vergangenheit zeigen heute ihre (Aus-)Wirkung:

Es braucht mehr Präventionsangebote für Mädchen und Jungen,Frauen und Männer

Ein besseres Hilfssystem für die Opfer

Eine nachhaltige Täterarbeit, die den Täter aus der Kriminalität herausholt,.

Eine veränderte Ordnungspartnerschaft und gute Polizeiarbeit mit

sozialräumlichen Bezug.

Für ein Einwanderungsland müssen klare Regeln aufgestellt werden, die an alle Menschen zu vermitteln sind. Die Würde des Menschen und in diesem Sinne die Würde und Selbstbestimmung der Frauen und Männer ist anzuerkennen und dass jeder/jede das Recht auf Schutz und Hilfe hat.

 

Für ein Einwanderungsland müssen klare Regeln aufgestellt werden, die an alle Menschen zu vermitteln sind. Die Würde des Menschen und in diesem Sinne die Würde und Selbstbestimmung der Frauen und Männer ist anzuerkennen und dass jeder/jede das Recht auf Schutz und Hilfe hat.

Dr Lale Akgün

Prof Dr Dani Kranz

Franco Clemens

Andreas Hupke

Klaus Jünschke

Roland Schüler

Wolfgang Uellenberg-van Dawen

Köln, 27. Januar 2016

Ein Kommentar zu den massiven Übergriffen auf Frauen in der Neujahrsnacht in Köln und anderswo

Die Würde des Menschen in schwierigen Zeiten

Das Versagen des Rechtsstaates in der Neujahrsnacht in Köln und anderen Städten hat zu vielfältigen Reaktionen und einer kontroversen Debatte geführt, die ein erhellendes und auch erschreckendes Schlaglicht auf den Zustand unseres Gemeinwesens wirft. Für Rechtspopulisten und Rassisten sind die kriminellen Übergriffe auf Frauen nichts anderes als die Bestätigung sämtlicher Vorurteile und Feindbilder gegenüber Migranten und auch die rechtspopulistische und unterschwellig rassistische AfD profitiert davon in den Umfragen der Meinungsforschung.

Der überwiegende Teil der Medien und der Politik richtet den Focus nicht in erster Linie auf die von sexualisierter Gewalt verstörten und traumatisierten Opfer, sondern vornehmlich auf die vermuteten Täter. Es waren – dies muss man den Opfern glauben -, vor allem junge Migranten überwiegend aus den Ländern des Maghreb, aber nicht nur, sondern es befanden sich auch Männer anderer Herkunft darunter. Fest steht bisher auch, dass es fast überwiegend keine (!) Flüchtlinge waren.

Dennoch haben Koalitionspolitiker allen voran die CSU sofort mit Forderungen nach Verschärfung des Aufenthaltsrechtes und mit Abschiebung reagiert unabhängig davon, ob dies überhaupt rechtlich und faktisch möglich ist.

Eine differenzierte Analyse der Ursachen massenhafter sexueller Übergriffe und Vorschläge eines zielführenden wie auch angemessenen Handelns in erster Linie im Interesse der Opfer, aber ebenso auch der Migrantinnen und Geflüchteten, die nun Angst haben, pauschal verdächtigt und diskriminiert zu werden, steht noch am Anfang.

Die Gefahr besteht, dass Vereinfachungen und Schuldzuweisungen am Ende kein Problem lösen, dass aber die Angst vor den Fremden wächst und viele verunsicherte, bisher gutwillige und für die Flüchtlinge Empathie empfindende Menschen sich nun zurückziehen oder gar in den Chor der Hardliner einstimmen.

Die Würde des Menschen gerade in diesen schwierigen Zeiten zu wahren, ist eine Herausforderung, der sich alle stellen müssen, die für eine humane Flüchtlings –und Einwanderungsgesellschaft und für die Wahrung einer menschenrechtlich orientierten Politik eintreten.

In erster Linie geht es um die Würde der Frauen. Wer hilft den Opfern? Wer begleitet sie bei ihren Aussagen vor den Ermittlungsbehörden? Und wie sollen die Täter identifiziert werden? Fragen über Fragen.

Das Sexualstrafrecht ist bei weitem nicht so eindeutig formuliert, dass jeder Übergriff überhaupt als Sexualdelikt verfolgt wird. Überfällig ist also eine Reform des Sexualstrafrechts mit der Maßgabe, dass ein Nein der Frauen auch ein Nein bleibt und wenn es nicht akzeptiert wird, dies eine Straftat ist. Ob es nun zu einer Beschleunigung der Reform kommt, bleibt abzuwarten. Sie aber darf nicht auf die lange Bank geschoben oder verwässert werden. Darum muss auf die Übergriffe in der Neujahrsnacht die längst überfällige Debatte über den alltäglichen Sexismus geführt werden. Dies ist keine Relativierung der konkreten Übergriffe oder gar eine Entschuldigung für die Täter, sondern ein Aufruf für die Würde der Frau einzutreten.

Patriarchalische Frauenbilder und die Reduzierung der Frau auf ein Objekt männlicher Dominanz sind, egal wo wir ihnen begegnen, als solches zu benennen. Vergessen wir nicht, dass sie in fast allen Religionen zu finden sind, und auch, dass bis Mitte der siebziger Jahre den Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch noch die Rolle der Hausfrau in der Ehe zugewiesen wurde und die Vergewaltigung in derEhe erst seit einigen Jahren strafbar ist. Aber gerade darum darf der erreichte Fortschritt eben nicht nur für die aufgeklärten einheimischen, sondern muss für alle Frauen gelten.

Die Debatte muss sehr konkret geführt werden und Folgen haben. Sonst bleibt sie oberflächlich undscheinheilig. Die öffentliche Empörung richtet sich derzeit auf Täter mit Migrationshintergrund, aberwer schützt die Migrantinnen vor Ausbeutung und Demütigung nicht nur in den Familien, sondern auch in der Mehrheitsgesellschaft und in der Arbeitswelt.

Wie hart gehen denn die Behörden gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vor in Köln und anderswo? Wie hart werden Bordellbesitzer und ihre Hintermänner verfolgt und warum nehmen Boulevardblätter auch in Köln immer noch Anzeigen auf, in denen die Ware Frau vermarktet wird. Wo bleibt eigentlich die Reaktion der Verantwortlichen der fünften Jahreszeit in der Hauptstadt des Frohsinns?: Denn während die ganze Stadt sich empört, feiert sie Karneval auch weiterhin wie gewohnt und das heißt auch mit deutlich sexistischer Schlagseite.

Dringend überprüft und verändert werden muss das Sicherheitskonzept und dazu gehört auch die Transparenz über mögliche Gefahren. Denn wo es für Frauen und nicht nur für sie in den Städten gefährlich ist, ist doch bekannt. Aber Aufklärung alleine genügt nicht: No-go-Areas darf es in unserem Land nicht geben und zur Verhinderung bedarf es nicht nur Prävention und Ursachenbekämpfung, sondern auch dem Schutz vor Ort. Statt enger Ordnungspartnerschaft Sicherheitspartnerschaften zwischen Stadt, Polizei und Sicherheitsdiensten, wurde immer mehr Personal abgebaut. Was nützen die stattdessen fast flächendeckend installierten Videokameras? In der konkreten Situation nichts! Angesichts des Versagens der Polizeibehörden in Köln und anderswo fordern nun Viele einen starken Staat. Sicherheit, ob durch Prävention oder durch Repression, kann es aber nicht zum Nulltarif geben und auch nicht mit einer Schwarzen Null im Haushalt als Ziel.

Die schwierigste Diskussion dreht sich wohl um die Bewertung der Täter. Am leichtesten machen es sich die Vereinfacher auf beiden Seiten: Rechtspopulisten und so genannte besorgte Bürger bis weit in die Mitte der Gesellschaft zeigen auf das Aussehen, die Herkunft und die Religion der Täter und rationalisieren damit auch tief verwurzelte rassistisch geprägte Weltbilder. Die Karikatur in der Süddeutschen Zeitung, die eine schwarze Männerhand, die eine weiße Frau sexuell belästigt, zeigt, welche Urängste vor dem schwarzen Mann selbst in einer liberalen Zeitung zum Vorschein kommen.

Differenzierende Erklärungen der Wissenschaft zu autoritären Strukturen, sozialen Verwerfungen und überkommenen Rollenbildern scheinen zu erklären, warum junge Männer zu sexualisierter Gewalt neigen. Aber sie können dennoch nicht die konkreten Taten daraus ableiten. Es ist unmöglich und eine falsche Verallgemeinerung, wenn aus kulturellen Traditionen auf eine bestimmte Gewaltbereitschaft geschlossen wird. Aber ebenso wenig zielführend wäre es, auf jede sozialkulturelle Einordnung zu verzichten und die Kritik an einem religiös bestimmten und anerzogenen patriarchalischen Frauenbild als Rassismus zu verurteilen.

Einfache Erklärungen gibt es nicht und darum bedarf es einer offenen und von Sachkunde bestimmten Debatte, die natürlich auch Konsequenzen haben muss. Dazu gehört, mit einer klaren Haltung und mit Nachdruck vertretenen Regeln des Zusammenlebens solchen Menschen ob mit oder ohne Migrationshintergrund entgegenzutreten, die diese Regeln nicht akzeptieren. Weder sexualisierte Gewalt noch andere Formen der Kriminalität sind zu entschuldigen, sondern sie müssen nach Recht und Gesetz bestraft werden.

Es ist aber eine völlige Illusion zu glauben, es reiche zur Integration aus, wenn eine Leitkultur verordnet, das Grundgesetz als Pflichtkanon gepredigt und mit erhobenem Zeigefinger die moderne deutsche Geschlechterrolle eingefordert wird. Integration muss gelebt werden und gerade hier ist in den letzten Jahren trotz vieler Erfolge viel zu wenig geschehen. Viel zu gering sind die Aufwendungenfür eine präventive und konsequente Sozialarbeit. Es fehlen die Sozialarbeiter/innen an den Schulen und Streetworker auf den Straßen. Seit mindestens drei Jahren weiß das NRW Innenministerium beispielsweise um die Gefährdung junger Männer etwa aus Marokko, die in die Kriminalität abzugleiten drohen. Wie ist reagiert worden – abgesehen von einem sinnvollen Präventionsprojekt der AWO Köln in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium? Viel mehr solcher Projekte und nicht nur Projekte, sondern nachhaltige Integrationsmaßnahmen hätten stattfinden müssen.

Dies gilt erst recht für die soziale Integration. Noch immer sind es vor allem Migrantinnen und Migranten, die von Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit betroffen sind. Noch immer werden sie bei der Bewerbung um gute Arbeit und qualifizierte Ausbildung diskriminiert. Noch immer sind die Bildungssysteme und die Curricula nicht auf unterschiedliche Herkunftssprachen ausgerichtet. Seit diesem Jahr verweigert Nordrhein Westfalen aus finanziellen Gründen den Zugang über 18-jähriger Migranten und Geflüchteten zu den Berufskollegs, um dort einen Hauptschulabschluss zu machen. Ein Skandal, den die Landesregierung aussitzen will.

Anerkennung eigener Sprache und Kultur aber ebenso Anerkennung und Wertschätzung ihres Lebens in Deutschland wird den Migrantinnen und Migranten viel zu wenig ausgesprochen und bleibt oft auf bloße Bekenntnisse beschränkt. Integration ist eine Herausforderung voller Mühe und muss oft große Unterschiede überwinden auf beiden Seiten. Aber sie kann gelingen.

Integration kann aber nur gelingen, wenn die sich vertiefende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich überwunden wird, die in vielen Städten immer sichtbarer wird und die vor allem Menschen mit Migrationshintergrund ausgrenzt. Diese Spaltung der Gesellschaft in einem reichen Land fördert Konkurrenzen zwischen Einheimischen und Migranten und vor allem Geflüchteten um bezahlbaren Wohnraum, um Plätze in Kitas und Schulen, um Ausbildung und gute Arbeit. Oft genug sind es jedoch nicht diejenigen, die sich in engen Verhältnissen einrichten müssen, die Ausgrenzung fordern. Es sind diejenigen, die weiter oben auf der gesellschaftlichen Pyramide leben. Es sind ihre Vorurteile und ihre Ängste etwas abgeben zu müssen zu Gunsten eines handlungsfähigen Staates, um die Folgen der von den Eliten unserer Gesellschaft so oft beschworenen Globalisierung sozial gerecht zu bewältigen, die den Weg in eine integrative Gesellschaft blockieren.

(zum Weiterlesen: Diskussionspapier des Friedensbildungswerks)

Dr. Wolfgang Uellenberg – van Dawen, Jg. 1950, Historiker war bis 2014 Leiter des Bereichs Politik und Planung der ver.di Bundesverwaltung in Berlin und Engagiert sich für eine humane Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik in Köln.